Homosexualität ist sicherer als die Pille

Die HIS (Homosexuellen Initiative Schwäbisch Gmünd) und ihr Kampf um Anerkennung

Der Stonewall-Aufstand 1969 und die Überarbeitung des § 175 bei der Strafrechtsreform im selben Jahr gelten als Auslöser der Schwulenbewegung in Deutschland. Ihr lautstarker Kampf um Anerkennung und eine tolerante Gesellschaft war ein radikaler Bruch mit der bisherigen Lebens­weise vieler Homosexueller, die aus Angst vor Ausgrenzung und Stigmata möglichst unauffällig lebten. Die Schwulenbewegung wollte diese als Ohnmacht empfundene Situation überwinden und das ewige Versteckspiel beenden. Im Zuge dessen kam es in den 1970ern und 1980ern zur Gründung von zahlreichen queeren Vereinigungen, nicht zuletzt in Schwäbisch Gmünd.

Stuttgart, 1975: Eine kleine Gruppe Gleichgesinnter demonstriert auf dem Schlossplatz für Akzeptanz und Toleranz. Es ist die erste Schwulendemo in der Landeshauptstadt. Ihr Auftreten sorgt bei vielen Stuttgartern für Kopfschütteln und Unverständnis. Vorbeilaufende Passanten und Passantinnen gehen die Demonstrierenden verbal und körperlich an. Für Joschi Moser, damals als 17-jähriger vor Ort, war das Geschehen einer der Auslöser, zusammen mit seinen Mitstreitern, die Homosexuellen Initiative Schwäbisch Gmünd (HIS) zu gründen.

»Meine Motivation war, dass ich ein Problem hatte, wenn mich Menschen wegen meiner sexuellen Orientierung komisch anschauten. Ich kann Ungerechtigkeiten einfach nicht ausstehen. Und dann noch die Erlebnisse bei der Demo. Die Leute haben vor uns ausgespuckt. ‚Ihr gehört alle ins Arbeitshaus‘, haben sie geschrien.«
Joschi Moser

Die 1970er und 1980er waren eine Zeit der homosexuellen Emanzipationsbewegung, in der zahlreiche Gruppen für mehr Freiheit, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit eintraten. In Schwäbisch Gmünd gründeten im März 1982 Roland Lämmle, genannt Jimmy, Jürgen Dannwolf und Joschi Moser die HIS, 25 Kilometer weiter östlich konstituierte sich fast gleichzeitig die Homosexuellen Initiative Aalen und in Schorndorf »die Scharm«, die schwule Aktion Rems-Murr. Ihnen gemeinsam war der Kampf für eine endgültige Abschaffung des »Schwulenparagrafen« § 175. Dafür organisierten sie Demonstrationen, starteten Flugblattaktionen oder arbeiten aktiv in der alternativen Monatszeitung »gegenDruck«, in der Themen behandelt wurden, die im Kreis der etablierten Presse keinen Niederschlag fanden. Das Wichtigste aber war Präsenz zu zeigen: gemeinsam und allein, unverstellt und ungeschminkt.

»Für mich war es nicht nachvollziehbar, dass manche Angst hatten, ihr Schwulsein zu zeigen. Ich hatte keine Angst. Wir wollten uns nichts mehr verbieten lassen, während andere noch im Schrank lebten.«
Joschi Moser

Dazu passend hatte die HIS-Leitung auffällige Aluminiumkoffer mit Regenbogenfahnen und provokanten Aufklebern organisiert: »Homosexualität ist sicherer als die Pille«. Regelmäßig traf man sich in der Brauereigaststätte Kübele, deren Wirte ebenfalls homosexuell waren, um weitere Aktionen zu besprechen.

Zu ihrem Höhepunkt hatte die HIS bis zu 50 Mitglieder. Die Größe führte dazu, dass die Zusammensetzung der Gruppe immer heterogener wurde und Spannungen entstanden, an denen die Gruppe schließlich zerbrach, sodass sich die HIS 1985 auflöste.

»Das Ganze war sehr polarisierend zwischen den konservativen Schwulen und denen, die radikale Forderungen hatten«
Joschi Moser

Dieser Text wurde in einer erweiterten Fassung mit ergänzenden und vertiefenden Inhalten auf Ostalbum veröffentlicht, um seine langfristige Zitier­fähigkeit mit ergänzenden Literatur- und Quellen­angaben auf Ostalbum zu gewährleisten.

Cover der alternativen Monatszeitung „gegenDruck“ und die auffälligen Aluminiumkoffer „Homosexualität ist sicherer als die Pille“ der HIS (Quelle: Joschi Moser)

Literaturverzeichnis
> Bruns, Manfred (2016): Die Schwulenbewegung in Deutschland, Von § 175 über die neuen Schwulengruppen zur Bürgerrechtsbewegung. In: Lesben- und Schwulenverband, https://www.lsvd.de/de/ct/935-Die-Schwulenbewegung-in-Deutschland, (Abruf: 27.04.2024).

Archivalische Quellen
> Bestand „Homosexuellen Initiative Schwäbisch Gmünd“ (Archiv Aids-Hilfe Schwäbisch Gmünd)
> Auf ein Neues, in: gegenDruck, Monatszeitung für den Ostalbkreis, Jg. 6, Nr. 46, 09/1986, S. 13 (Archiv Aids-Hilfe Schwäbisch Gmünd, Zeitschriften).

Verzeichnis Gespräche 
> Zeitzeugengespräch mit Joschi Moser und Volker Kujawski, Vorstände, Aids-Hilfe Schwäbisch Gmünd, 14.02.2023.

Hinweis
> Erweiterten Fassung mit ergänzenden und vertiefenden Inhalten auf Ostalbum:
Kolb, Arnd (2023): „Homosexualität ist sicherer als die Pille“ – Die HIS (Homosexuellen Initiative Schwäbisch Gmünd) und ihr Kampf um Anerkennung, in: Ostalbum, https://ostalbum.hypotheses.org/4066, (Abruf: 27.04.2024)

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