Der Fall Ernst Haug – Ein überzeugter »Parteigenosse« wird Opfer der NS-Schwulenverfolgung

1933 war Ernst Haug (1897-1961) ein überzeugter »Parteigenosse« mit unauffälligem Lebenswandel, ein verheirateter städtischer Angestellter und Vater einer Tochter. Seine Verhaftung wegen Verstoßes gegen § 175 kostete ihn 1940 seine Parteimitgliedschaft, seine Stellung und seine Familie – und zwang ihn, seine politische Haltung in viereinhalb Jahren Haft im Soldatenkonzentrationslager Esterwegen zu überdenken.

Ernst wurde 1897 geboren als zweitjüngstes Kind von Christian (1856-1929) und Therese Haug, geb. Kraus (1857-1915), den Wirtsleuten der Torbäckerei am Eingang der Bocksgasse, die ihm zeitlebens ein wichtiger Ankerpunkt und Rückzugsort bleiben sollte.

Gasthaus zur Thorbäckerei (links). Bild um 1900, Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. E02 (Sammlung Seitz), Nr. 195.

Als 19-jähriger ging er 1916 zum Militär und kämpfte im Ersten Weltkrieg in Flandern. Nach der Demobilisierung wurde er 1919 kaufmännischer Angestellter bei den Stadtwerken und bald darauf Mitglied im Sportverein 1. FC Normannia. 1929 heiratete er Elisabeth geb. Herkommer, 1931 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Nach der NS-Machtergreifung wurde er nicht nur Parteimitglied, sondern hatte verschiedene Ämter in der lokalen Parteiverwaltung inne, zuletzt als Kreishauptstellenleiter – aus innerer Überzeugung, wie er rückblickend im Spruchkammerverfahren aussagte. Am 8. September 1939, eine Woche nach Kriegsbeginn, wurde Haug zur Wehrmacht eingezogen.

Während seiner Dienstzeit im besetzen Frankreich kam es 1940 zu seiner Verhaftung wegen eines nicht näher erläuterten Delikts nach § 175 und, nach drei Monaten Haft in Moulins-sur-Allier, zur Überstellung ins KZ Esterwegen. Seine Ehe mit Elisabeth wurde durch Beschluss des Landgerichts Ellwangen vom 2. Mai 1941 geschieden.

»Mein Leben schloss ab mit dem Eintritt in das Lager. Ich hatte alles verloren: Familie, Gut, Stellung, Freiheit und Ehre.«
Ernst Haug

Esterwegen war eines der 15 Emslandlager, die die Nationalsozialisten ab 1933 aufgebaut hatten, zunächst zur Inhaftierung politischer Gegner, später zunehmend auch von Homosexuellen sowie im Fall von Esterwegen von strafgefangenen Soldaten. Die Gefangenen in den Emslandlagern mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen Moore trockenlegen und Torf stechen. Bis zum Kriegsende starben in diesen Lagern etwa 30.000 Häftlinge an Erschöpfung, Krankheit oder infolge von Misshandlungen. Mehrere seiner Mitgefangenen gaben später zu Protokoll, dass Ernst Haug, der als Vorarbeiter eingesetzt wurde, ihnen das Leben gerettet hatte, indem er sie von Arbeitseinsätzen abzog oder ihnen von seinem Essen abgab.

Trotz seiner KZ-Haft und seiner von mehreren Seiten beglaubigten Wandlung zum Gegner des Nationalsozialismus stufte die Spruchkammer Haug am 22. Januar 1947 zunächst als »Belasteten« (Gruppe II) ein und verurteilte ihn zu 1 ½ Jahren Internierungslager. Ausschlaggebend hierbei waren sein früher Parteieintritt in Verbindung mit seinen Parteiämtern und die Aussage eines Zeugen, nach der er in den Dreißigerjahren belastende Beobachtungen über das Verhalten von Regimegegnern an den Kreisleiter weitergegeben haben sollte, ein Vorwurf, den Haug bestritt. Die Berufungskammer ließ in ihrem Urteil vom 13. August 1948 Haugs KZ-Haft und die positiven Aussagen seiner Mithäftlinge als mildernde Umstände gelten und stufte ihn als »Mitläufer« ein.

Inzwischen war Ernst Haug am 4. April 1946 nach Gmünd heimgekehrt, fast sechs Jahre nach seinem letzten Heimaturlaub. Er war nicht nur mittellos und sicherlich von der langen KZ-Haft gezeichnet, sondern musste noch über zwei Jahre lang mit der drohenden Internierung rechnen. Elisabeth hatte sich inzwischen neu verheiratet und war mit der gemeinsamen Tochter zu ihrem zweiten Ehemann gezogen; nach dessen Tod wohnten beide Frauen allein. Doch zeigte sich für Ernst Haug in dieser Situation, dass er sich auf sein soziales Netz verlassen konnte. Er zog zu seiner älteren Schwester Berta, verheiratete Peek, die inzwischen nach dem Tod der Eltern das Wirtshaus zur Torbäckerei weiterführte, und kehrte zu seinem geliebten Sportverein Normannia zurück, für den die Torbäckerei damals ein wichtiger Treffpunkt war. Er fasste wieder Fuß in der Stadt, koordinierte als Vereinsvorstand die Pressearbeit der Normannia, schrieb als Sportreporter für die Remszeitung und pflegte ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter. Nach seinem Tod am 5. Dezember 1961 wurde er in mehreren Nachrufen gewürdigt.

Dieser Text wurde in einer erweiterten Fassung mit ergänzenden und vertiefenden Inhalten auf Ostalbum veröffentlicht, um seine langfristige Zitier­fähigkeit mit ergänzenden Literatur- und Quellen­angaben auf Ostalbum zu gewährleisten.

Ernst Haug im Kreis der Herrenfußballmannschaft 1922, abgebildet in der 50-Jahres-Festschrift des 1. FC Normannia, 1954; Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C02 (Zeitgeschichtliche Sammlung), Bü 370.)

Literaturverzeichnis
> Biggel, Werner/Bogen, Ralf: Ernst Haug, in: Der Liebe wegen, https://der-liebe-wegen.org/?profil=ernst-haug, (Abruf 05.07.2023).

Archivalische Quellen
> Haug, Ernst: „S-KZ“ – Soldaten-Konzentrations-Lager. Ein Tatsachenbericht aus dem S-KZ – Lager Esterwegen im Emslandmoor. In: Gedenkstätte Esterwegen, https://der-liebe-wegen.org/?profil=ernst-haug, (Abruf 27.04.2023).
> Spruchkammerakte Ernst Haug, (Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902/7, Bü 5352).
> Familienregister zu Christian und Therese Haug (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, A13.10.07, Bd. 7, Bl. 2574).
> Meldekarten zu Christian und Ernst Haug aus den Meldekarteien bis 1927 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, A12a.01) und 1927-1966 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, A12a.02).
> Nachruf in der Jubiläumsfestschrift des 1. FC Normannia 1964 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C02 (Zeitgeschichtliche Sammlung, Bü 370).
> „Drei Fälle vor der Spruchkammer Gmünd“, in: Neue Württembergische Zeitung, Nr. 7 (24.01.1947).
> Zu Haugs Verbindung zur 1. FC Normannia vgl. die Vereinsfestschriften 1954 und 1964 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C02 (Zeitgeschichtliche Sammlung), Bü 370).
> Zu Haugs Tätigkeit für die Rems-Zeitung s.a. den Nachruf in der Rems-Zeitung vom 6. Dezember 1961 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.37, Bd. 191).

Verzeichnis Gespräche
> Zeitzeugengespräch mit Elisabeth Rieger-Haug, Tochter von Ernst Haug, Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, 6.7.2023.

Hinweis
> Erweiterten Fassung mit ergänzenden und vertiefenden Inhalten auf Ostalbum:
Konzen, Niklas (2023): Von der Wehrmacht ins Emsland-KZ: Wie § 175 einen schwulen Gmünder aus der Konformität ins Elend riss, in: Ostalbum, https://ostalbum.hypotheses.org/3879, (Abruf: 27.04.2024)

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