Ein persönlicher Blick auf das Thema

Glaube – Kirche – Bibel - Regenbogengemeinde

»In der Bibel hat sich Jesus nie zu Homosexualität geäußert – obwohl das manche meinen – zur Gewaltanwendung aber schon«, sagt der neu gewählte evangelische Bischof von Württemberg Ernst-Wilhelm Gohl im Mai 2023 im Interview mit der Südwestpresse. Er sei froh, dass es inzwischen auch in der württembergischen Landeskirche »die Möglichkeit gibt, dass gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden können.« Allerdings finden sich dazu in den Kirchen und religiösen Gemeinschaften eine ganze Bandbreite von Positionen, auch solche, die Homosexualität als Sünde ablehnen und verurteilen.

Wir kannten uns seit Beginn unseres Theologiestudiums in Tübingen Ende der siebziger Jahre und waren gute Freunde. Beide hatten wir auch während des Studiums an die Hochschule nach Berlin gewechselt und wollten Pfarrer werden. Obwohl er bestimmt ein guter Pfarrer geworden wäre, ist er es aber nicht geworden. Das hatte mit dem zu tun, was er mir zu meiner Überraschung in einer Berliner Kneipe eröffnete: »Ich bin schwul und jetzt endlich so weit, dass ich dazu stehen kann!« Als schwuler Pfarrer hätte er damals auch in der evangelischen Kirche ein Doppelleben führen müssen, in dem er seine Sexualität versteckt. Aufsehenerregend war zu dieser Zeit gerade der Fall des Pfarrers Klaus Brinker aus Hannover. Er hatte sich 1979 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt und wurde deshalb 1981 endgültig aus dem Pfarrdienst entlassen.

Mit Sexualität haben sich die Kirchen in Europa immer schwergetan. Besonders mit den nicht-heterosexuellen bzw. queeren Sexualitäten, wie schwul, lesbisch, bi-, pan- oder a-sexuell. Sexualität war für sie vor allem zur Fortpflanzung bestimmt. Damit waren die Kirchen natürlich ein Bestandteil der allgemeinen Kultur der Gesellschaft. Aber sie waren auch eine treibende Kraft: nicht heterosexuelle Sexualität galt als Sünde, so wie sie in der Medizin lange Zeit als Krankheit angesehen wurde.

Allerdings waren und sind auch Kirchen keine statischen Gebilde, sondern in ständige Veränderungsprozesse verwickelt. So hat sich auch in dieser Frage etwas verändert, als sich der allgemeine gesellschaftliche Konsens und die Gesetzeslage in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verändert hatten. Als Klaus Brinker im Jahr 2003 beerdigt wurde, hat die damalige Bischöfin Margot Käßmann ihn bei seiner Beerdigung öffentlich gewürdigt und für diese unmenschliche Behandlung, die ihm durch seine Kirche zuteilwurde, um Vergebung gebeten. Und dieser Tage konnten wir in der Zeitung lesen, dass Papst Franziskus gegen die Diskriminierung Homosexueller in Afrika Stellung bezog. Es gibt jedoch dazu in den Kirchen wie in der ganzen Gesellschaft weiter eine große Bandbreite von Einstellungen. Sie reicht von Ablehnung aller Sexualität außerhalb einer Ehe als Verstoß gegen Gottes Gebot bis zur Bejahung von Sexualität in ihrer ganzen Vielfalt als einen Reichtum, der von Gott so gewollt ist.

Heikle Punkte sind und bleiben dabei die Sexualität der Pfarrpersonen und die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im Gottesdienst. In der evangelischen Kirche, für die ich spreche, sind heute unter den Pfarrerinnen und Pfarrern auch solche dabei, die zu ihrer queeren Sexualität auch öffentlich stehen und zB gemeinsam mit Partnerin oder Partner im Pfarrhaus leben. Sie werden von den Kirchenleitungen in der Regel unterstützt. Allerdings wollen diese auch Ärger und Konflikte vermeiden. So muss bei der Wahl einer Pfarrerin oder eines Pfarrers der dafür von der Gemeinde gewählte Kirchengemeinderat dem auch zustimmen. Wenn ein Kirchengemeinderat keine queere Pfarrperson wählen möchte, ist es in dieser Gemeinde nicht möglich. Ähnlich ist auch die Regelung für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in einem Gottesdienst. Sie ist in Württemberg erlaubt, wenn der Kirchengemeinderat einer Gemeinde dies begrüßt. Dies hat unter anderen auch der Kirchengemeinderat der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Schwäbisch Gmünd im Jahr 2022 so beschlossen und Schwäbisch Gmünd zur „Regenbogengemeinde“ erklärt. Damit können hier also auch gleichgeschlechtliche Paare in einem evangelischen Gottesdienst gesegnet werden.

Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung können heute auch die Aussagen der Bibel, die homosexuelle Praktiken verurteilen, neu bewertet werden. Diese beziehen sich nämlich gar nicht auf das, was heute bei einem gottesdienstlichen Segen zur Debatte steht: eine dauerhafte personale Beziehung von zwei Menschen, die sich lieben. So etwas war in der streng patriarchalen Vorstellungswelt der Menschen zu der Zeit, als die Bibel geschrieben wurde, einfach nicht vorgesehen und vorstellbar. Dasselbe gilt dafür, wie wir heute queere Sexualität verstehen: nämlich als etwas, was zu einem Menschen dazugehört, eine Person ausmacht. Auch das hat man vor 2000 Jahren so nicht gesehen und gewusst. Gleichzeitig kann man aus heutiger Perspektive bei genauerem Hinschauen entdecken, dass auch die Bibel von Menschen erzählt, die eine Person des gleichen Geschlechts von ganzem Herzen lieben: David und Jonathan, Ruth und Noomi.

Das Gebot, den Nächsten und auch den Fremden zu lieben, durchzieht wie ein roter Faden als verbindlicher Maßstab die ganze Bibel, Altes und Neues Testament. Für mich schließt das aus, meine Mitmenschen, auch die, deren Lebensweise mir fremd ist, zu diskriminieren. Hoffentlich erlebe ich es noch, dass in meiner Kirche mit queeren Pfarrpersonen und Paaren genauso umgegangen wird wie mit heterosexuellen und wir in Kirche und Gesellschaft an dieser und anderen Stellen einfach diverser, vielfältiger und offener werden.

Peter Palm, 25. Mai 2023, Schwäbisch Gmünd

Literaturverzeichnis
> Josutti, Manfred: Ich bin ein Gast auf Erden, eine pastorale Lebensgeschichte, Gütersloh 2016. Darin insbesondere: Homosexuelle im Pfarramt?, S.54-58.
> Söderblom, Kerstin: Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023.

Archivalische Quellen
> Interview mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, Gmünder Tagespost vom 24.05.2023 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, C03.37).

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