Homosexualität und Spionage: Der Fall Dr. Ludwig Hof

Zwei Männer, ein Verstoß gegen § 175, vier Notizbücher voller Kontakte und ein im Raum stehender Spionageverdacht sind die Grundlage für eine Geschichte wie aus einem Kriminalroman. In ihrem Mittelpunkt Dr. Ludwig Hof, ein Mensch, der über genügend finanzielle Mittel verfügte, um sich eine gewisse Unabhängigkeit und einen speziellen Lebensstil leisten zu können. Was stand dahinter? Eine Suche nach sexuellen Kontakten oder doch mehr?

Schwäbisch Gmünd, den 09.03.1927. In den Räumlichkeiten des Württembergischen Polizeiamts in der Hofstatt, werden am frühen Nachmittag zwei Männer vernommen, die man zuvor im Gasthaus zur Krone verhaftet hatte. Unter Aktenzeichen: Krim. 172/27 sind ihre Namen aufgeführt:

  1. Täter: Dr. Hof, Ludwig; 30.03.1873, Köln[1]
  2. Täter: Jaxtheimer, Wilhelm, 30.09.1902, Wildenstein

Die strafbare Handlung: Widernatürliche Unzucht im Sinne des § 175 Reichsstrafgesetzbuch.

Kommissar Wolff, der die Verhöre führt, ist extra aus Stuttgart nach Schwäbisch Gmünd gereist, um den Vorfall zu untersuchen. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise hätte sich wegen eines Verstoßes gegen § 175 kein höherer Polizeibeamter die Mühe gemacht, in die schwäbische Amtsstadt zu reisen. Doch Wolff ist kein Kommissar der Sitte. Er gehört der Abteilung IV des Polizeipräsidiums Stuttgart an, der sogenannten politischen Polizei, die sich mit staatsfeindlichen Personen beschäftigt. Der Grund: Es steht ein Verdacht im Raum, dass Hof mit einer größeren Anzahl von Uniformträgern nicht allein aus homosexuellen Gründen, sondern aus politischen Motiven, in Verbindung getreten ist. Seine vorgefundenen Notizbücher mit etwa 200 Adressen verschiedener Personen, darunter eine größere Anzahl von Militärpersonen und Beamten der Schutzpolizei, lässt Schlimmstes befürchten. Hat er es etwa mit einem Spion zu tun?

Die Ermittlungen
Auf Dr. Ludwig Hof waren die Ermittler bereits zuvor aufmerksam geworden. Schon seit 1923 hegte die Abteilung IV den Verdacht der Spionage gegen ihn, da er mit Soldaten verschiedener Waffengattungen Umgang pflegte. Ein sicherer Beweis dafür, ließ sich aber nicht erbringen.[2] Allerdings konnten die Fahnder im Februar 1927 zweifelsfrei nachweisen, dass die Zielperson „homosexuell veranlagt“ war. Ludwig Hof hatte sich mit dem Kanonier Friedrich Stegmüller von der 6. Batterie des Artillerie-Regiments 5 in Ulm, der widernatürlichen Unzucht schuldig gemacht. Stegmüller hatte im Verhör gestanden, dass es zwischen ihm und Hof zu „beischlafähnlichen Bewegungen“ gekommen sei. Aufgrund dieser Vorgänge galt Hof bereits als polizeilich „vorgemerkt“.[3]

In Gmünd wurde die Polizei auf ihn aufmerksam, nachdem er dort am 08.03.1927 im Gasthof zur Krone, Marktplatz 18, mit seinem neuen Begleiter, Wilhelm Jagstheimer, abgestiegen war. Die unterrichtete Abteilung IV schickte daraufhin Kriminalkommissar Wolff. Wolff vernahm zuerst Jagstheimer.

„Im November vorigen Jahres an einem Nachmittag wurde ich von einem Unbekannten in der Lautenschlagerstraße in Stuttgart von einem Unbekannten, der sich mir später als Dr. Ludwig Hof vorstellte, angesprochen.“
Wilhelm Jagstheimer[4]

Aus diesem Verhörprotokoll, sowie aus den weiteren Rechercheergebnissen der Abteilung IV[5] kann man nicht nur herauslesen, wie Ludwig Hof sexuell mit seinen Beziehungen verkehrte, sondern dass es sich bei ihm um eine sehr kontaktfreudige und kommunikative Person gehandelt haben muss. Er hatte vermutlich auch ein einvernehmliches Wesen. Bei all seinen Fähigkeiten, auf Menschen zugehen zu können, muss allerdings auch attestiert werden, dass er gezielt junge Männer ansprach, bei denen er glaubte, leichtes Spiel zu haben. Hof bevorzugte es, sich an Personen zu wenden, die nicht seinem gesellschaftlichen Stand entsprachen und oft wesentlich jünger waren als er. So stellte Kriminalkommissar Wolff fest, Hof verkehre nur mit Leuten, welche ihm, seiner Vorbildung entsprechend, niemals eine geistige Anregung bieten könnten.[6] Mit seiner Lebenserfahrung, seinem umfangreichen Wissen und seinen finanziellen Möglichkeiten wusste er, wie er imponieren und für sich gewinnen konnte. Hof lud diese jungen Männer oft zu Mahlzeiten und Getränken ein und machte ihnen kleine Geschenke, wodurch er sich wahrscheinlich erhoffte, sie noch stärker für sich einzunehmen. Diese Kombination aus Charme, Großzügigkeit und intellektueller Überlegenheit machte ihn sicherlich zu einem angenehmen Gesprächspartner, aber auch zu einer manipulativen Persönlichkeit, die seinem Gegenüber über kurz oder lang zu erkennen gab, an einer sexuellen Beziehung interessiert zu sein. Ein Teil von Dr. Ludwig Hofs Kontakten ging auf seinen Wunsch nach Intimitäten ein.[7] Ob diese Beziehungen auf gegenseitiger Anziehung und eigener Homosexualität beruhten oder ob Druck, Manipulation oder das Gefühl einer Schuldverpflichtung im Spiel waren, bleibt im Dunkeln.

Spionageverdacht
Der Spionageverdacht, der auf Dr. Ludwig Hof lastete, gründete sich wesentlich auf seine auffallende Vorliebe für die Gesellschaft uniformierter Männer. Seine Kontakte zu Militärangehörigen, die er im ganzen Reich unterhielt, waren zahlreich und schienen keineswegs zufällig zu sein. Vielmehr sprach er diese gezielt an und suchte deren Nähe mit einer Beständigkeit, die auf ein besonderes „Beuteschema“ schließen ließ. Diese Vorliebe, gepaart mit der Anzahl seiner Bekanntschaften, nährte den Verdacht, dass seine Motive über sein homosexuelles Begehren hinausgingen und möglicherweise subversive Absichten verbargen. Zusätzlich genährt wurde dieser Gedanke aus der Tatsache heraus, dass Hof über größere Vermögenswerte in Höhe von 100.000 Goldmark verfügte, aber keiner geregelten Arbeit nachging. In seiner Wohnung in Potsdam und in angemieteten Räumlichkeiten in Heidelberg hatte er zudem eine größere Sammlung antiquarischer Gegenstände untergebracht, deren Wert Hof auf mindestens 50.000 Goldmark schätzte. Seine rege Reisetätigkeit, die ihn ebenfalls verdächtig machte, erklärte er damit, dass er ständig unterwegs sei, um die Sammlung durch weitere Ankäufe zu vergrößern.[8]

Fingerabdruck von Dr. Ludwig Hof. Quelle: Strafakten Hof, Ludwig (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur).
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Gasthaus zur Krone (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand E 5, Nr. 6, Bild 55)

Im Kreuzverhör
In den Verhören, die Kommissar Wolff am 9. und 14. März mit Dr. Ludwig Hof führte, offenbarte dieser nicht nur eine bemerkenswerte Redegewandtheit, sondern auch ein fundiertes juristisches Wissen hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmungen des § 175. Stück für Stück wies er die erhobenen Vorwürfe gegen ihn zurück und verdeutlichte, was im Rahmen des Gesetzes als strafbar zu betrachten sei und was nicht.

„Als Jurist ist dem Hof der Tatbestand des § 175 des Reichsstrafgesetzbuches und insbesondere schon deshalb sehr gut bekannt, weil er sehr viel mit ihm in Berührung kommt; er weiß ganz genau, dass das gegenseitige Onanieren nicht zur Erfüllung des Tatbestandes reicht, weshalb er den wirklichen Vorgang auch bestreitet.“
Kommissar Wolff[9]

Auch den Verdacht der Spionage wies Hof in den Verhören entschieden zurück. Mit derselben Beredsamkeit, die er bereits bei der Widerlegung der Vorwürfe hinsichtlich des § 175 gezeigt hatte, entkräftete er die Anschuldigungen, er könne in subversive Aktivitäten verwickelt sein. Die zahlreichen Kontakte führte er vielmehr auf seine leutselige Natur und sein Bedürfnis nach Unterhaltung zurück. [10] Auch wenn diese Aussage als wenig plausibel erschien, so ließen sich doch keine belastbaren Anhaltspunkte gegen ihn feststellen, dass sein Interesse an diesen Bekanntschaften geheimdienstlichen Motiven entsprang. Eine ebenfalls durchgeführte, stichpunktartige Kontrolle seiner Stuttgarter Kontakte, verlief ebenfalls im Sande. Hof wurde deshalb am 22.03.1927 nach zwölftägiger Untersuchungshaft entlassen, auch wenn Kommissar Wolff nicht von dessen Unschuld überzeugt war.

„Wenn auch dem beschuldigten Hof Tatsachen, die den Verdacht der Spionage begründen, bis jetzt nicht nachgewiesen werden können, so erscheint eine Beobachtung desselben in diese Richtung doch angezeigt, da es sich in der Person desselben mindestens um eine dunkle Existenz handelt.“
Kommissar Wolff[11]

Das ebenfalls gegen Hof angestrebte Verfahren wegen Verstoßes gegen § 175, wurde gegen eine Auflage von 250 Reichsmark beendet. Der Geldwert war durch seine verbrachte Zeit in Untersuchungshaft bereits abgegolten.[12]

Ein (Zwischen-) Fazit
Die Anschuldigungen der Spionage basierten auf Dr. Ludwigs zahlreichen Kontakten zu Militärangehörigen. Doch bei näherer Betrachtung erscheint es wenig plausibel, dass Dr. Ludwig Hof von einfachen Soldaten Informationen hätte erhalten können, die von Bedeutung gewesen wären. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass Ludwig eine Strategie verfolgte, um in Kontakt mit möglichen Sexualpartnern zu kommen. Die Tatsache, dass diese oft Uniformträger waren, mag nicht nur Ausdruck eines Fetischs gewesen sein, sondern auch Teil einer bewussten Erfolgsstrategie. Hof, der während des Ersten Weltkriegs vier Jahre als Rittmeister im Felde gestanden hatte, fand vielleicht über diese Erfahrung leichteren Zugang zu Militärangehörigen.[13] Es scheint deshalb wahrscheinlicher, dass seine Handlungen mehr von persönlichen Motiven und weniger von subversiven Absichten geprägt waren.

Jedoch könnten vertiefende Untersuchungen möglicherweise zu einem anderen Urteil führen. Spannend und aufschlussreich wären weiterführende Analysen allemal, da Dr. Ludwig Hofs Vita einige interessante Punkte enthält, die in diesem Kontext nicht behandelt werden konnten.[14] Diese offenen Fragen und ungeklärten Aspekte bieten weitere Ansätze für zukünftige Forschungsfragen.

Archivalische Quellen
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Akten des Oberreichsanwalts in der Strafsache gegen Dr. Hof, Ludwig (Bundesarchiv Berlin, Bestand R 3003/4437).
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Sterbebucheintrag 09.01.1935 (Stadtarchiv Potsdam, Reg.-Nr. 32/1935).
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Strafakten Hof, Ludwig (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur).
>
Fingerabdruck von Dr. Ludwig Hof. Quelle: Strafakten Hof, Ludwig (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur).
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Gasthaus zur Krone (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand E 5, Nr. 6, Bild 55)

[1] Lebensdaten von Dr. Ludwig Hof: 30.03.1873, Köln – 08.01.1935, Potsdam. (Stadtarchiv Potsdam, Sterbebucheintrag, Reg.-Nr. 32/1935).

[2] Strafakten Hof, Ludwig (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur). Hier: Protokoll vom 09.03.1927.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Die folgenden Aussagen stützen sich auf: Ebd. und Akten des Oberreichsanwalts in der Strafsache gegen Dr. Hof, Ludwig (Bundesarchiv Berlin, Bestand R 3003/4437, Image 0001-0045).

[6] Akten Württembergisches Landeskriminalpolizeiamt, Abteilung IV, 17.03.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0018).

[7] Wolff unterstellt ihm: „Seine Absicht scheint jedoch in den wenigsten Fällen zur Ausführung gelangt zu sein“. In: Schreiben Polizeipräsidium Stuttgart, 19.04.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0019).

[8] Akten Württembergisches Landeskriminalpolizeiamt, Abteilung IV, 17.03.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0007-0009).

[9] Strafakten Hof, Ludwig (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur). Hier: Protokoll vom 09.03.1927.

[10] Akten Württembergisches Landeskriminalpolizeiamt, Abteilung IV, 17.03.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0008).

[11] Bericht Kommissar Wolff, 18.03.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0012-0013).

[12] Schreiben der Gerichtsschreiberei des Amtsgerichts Gmünds, 28.03.1927 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand A06 Altregistratur, noch ohne Signatur).

[13] Akten Württembergisches Landeskriminalpolizeiamt, Abteilung IV, 17.03.1927 (BArch, R 3001/4437, Image 0002 und 0008).

[14] Dr. Ludwig Hof trat 1923 in die Stinnes Werke ein und hatte dort laut eigener Angaben „die Kontrolle“ über die Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ). Auch seine Aufgabe im Reichsverwertungsamt und seine Rolle bei der Verschiebung von Waffenlagern [der schwarzen Reichswehr?] können hier nur erwähnt, aber nicht geklärt werden.  

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