Ein Kommentar von Sera Panos

Auf dem falschen Klo

Trans*. Non-Binary. Genderqueer. Genderfluid. Gender-nonconforming. Die von der Dominanzgesellschaft abschätzig als »Genderwahnsinn« bezeichneten »neuen« Formen der Geschlechtsidentitäten sind alles andere als ein Modetrend. Dass aber ein Großteil der Menschen nichts von Mehrgeschlechterordnungen weiß oder nichts davon wissen will, ist kein Zufall, sondern die Folge von Kolonialisierung, Patriarchat, Macht und Unterdrückung. Dabei existieren Mehrgeschlechterordnungen seit Jahrhunderten überall auf der Welt. In Mexiko gibt es die Muxe, Bakla auf den Philippinen, Two-Spirits in Nordamerika. Doch in einer hetero-patriarchalischen Gesellschaft, die die Menschen in Mann und Frau gliedert, geht es am Ende nicht um einen bloßen »Genderwahn«, sondern um einen Kampf gegen eine bestehende fragile Ordnung, die es von den Dominierenden aufrechtzuerhalten gilt. Und wo beginnen Systemkämpfe? Ganz recht, auf dem Klo.

Was für viele Menschen zu einer fast banalen Routine des Alltags zählt, ist für andere ein Albtraum. Der Weg auf eine öffentliche Toilette. Ein Akt, bei dem jedermensch (ich verwende im folgenden Text jedermensch als Synonym für jedermann) seinen natürlichen Bedürfnissen nachgeht, ohne sich große Gedanken dabei zu machen, ist für trans* und nicht-binäre Menschen oft ein schmerzhafter, schambesetzter Akt.

Schon seit der ersten Sekunde, die ich auf dieser Welt verbracht habe, verfolgt mich diese Frage: Junge oder Mädchen? Die ersten Worte meines Vaters zu meiner Geburt waren: »Da fehlt ja was!« Wie er darauf kam? Der Verlauf der Schwangerschaft meiner Mutter deutete wohl darauf hin, dass ich ein Junge werden könnte. Als sei es mir in die Wiege gelegt, beschäftigt mich das Thema noch heute. Heute bin ich 35 Jahre auf dieser Welt. Fragen in der Kindheit »ist das Ihr Enkel oder Enkelin?« oder Aussagen wie »Du darfst hier nicht spielen, nur Jungs spielen Fußball« oder – wegen meiner griechischen Wurzeln und der entsprechenden Behaarung – »Du bist behaart, wie ein Typ« führten schon früh dazu, dass ich mir nicht sicher war, ob da bei mir biologisch was schiefgegangen war. Ich mochte kurze Haare, »Jungsklamotten«, »Jungssportarten« – wollte ich deswegen aber wirklich ein Junge sein?

All das war kein großes Problem bis ich in die Teenagerjahre kam – die Zeit, in der ich mich von einem Mädchen zu einer jungen Frau entwickeln sollte. Die Zeit, in der einem die Gesellschaft zeigt, wie Mädchen sich als Frau zu verhalten hat, auszusehen hat. Auch heute weisen mich Menschen aufgrund meines Aussehens darauf hin, ich sei auf dem falschen Klo. Kurze Haare plus »Jungsklamotten« gleich falsches Klo. Meist agieren sie freundlich, irritiert – manchmal auch aggressiv. Doch was passiert mit Menschen wie mir, wenn sie ständig gefragt werden, wer sie sind? Wenn ihnen gesagt wird, sie seien falsch. Weil ich nie in dieses heteronormative, binäre Geschlechtersystem passte, war ich schon mit 13 Jahren verzweifelt, depressiv und voller Schamgefühle. Warum passe ich nicht? Ich will kein Mann sein, aber ich passe auch nicht als Frau? Sollte ich ein Mann sein, weil ich mich in Frauen verliebe? Es wäre vorteilhafter – also irgendwas läuft da doch sicher schief bei mir.

Nach etwa 30 Jahren Findungsphase stieß ich endlich auf einen Begriff, der irgendwie zu mir passt. Der erklären kann, wer ich bin. Nicht-binär. Ein Sammelbegriff für Menschen, die sich weder als Mann noch Frau identifizieren (wollen). Ich bin auch gender-nonkonform und verweigere mich schlichtweg, mich den gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit anzupassen. Dabei überschreite ich Grenzen. Nicht-binäre Menschen lassen Gegensätze verschwimmen. Sie untergraben das Konzept von Macht – und Ohnmacht. Und alles was Mensch nicht eindeutig zuordnen kann, wirkt gefährlich. Gefährlich für ein hetero-patriarchalisches System, das so fragil ist.

Wer also bin ich? Ich bin ein Mensch und ich bin liebenswert. Und ich weiß nun: Ich bin nicht allein. Es gibt Menschen wie ich – mehr als nur Mann oder Frau. Ich bin für Mehrgeschlechterordnung. Ich bin für die Abschaffung der Zweigeschlechterordnung.

Ich bin dafür, dass sich jedermensch in dieser Welt wohlfühlen darf.

Ich bin dafür, dass weder Kleidung noch Farben oder Gerüche männlich oder weiblich sind. Auf einem Klo duftet es ja auch nicht weiblich oder männlich, sondern im besten Fall nach Rosen – also blumig – nicht weiblich. Deswegen ist ein Klo auch nicht für Männer oder Frauen. Es ist ein Ort, an dem jedermensch seinen Bedürfnissen nachgeht – sitzend oder stehend. Ich bin für die Benennung in Sitz- und Stehtoiletten. Das wäre zumindest ein Anfang im Kampf gegen das hetero-patriarchalische System.

Sera Panos, 23. Mai 2023, Schwäbisch Gmünd

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