Interview mit B.
Eine Transition zwischen Schwäbisch Gmünd und Berlin
Einleitung
Wie fühlt es sich an, mit dem diffusen Gefühl aufzuwachsen, irgendwie „anders“ zu sein – ohne zu wissen, was genau dieses Anderssein bedeutet? B., die anonym bleiben möchte, erinnert sich: Schon früh bemerkt sie, dass ihre Interessen und ihr Verhalten nicht dem entsprechen, was von einem Jungen erwartet wird. Die Dinge, die sie gerne tut, stoßen bei anderen Jungen oft auf Unverständnis oder gar Spott. Sie fühlt sich wohler in der Gesellschaft von Mädchen – und um Schwierigkeiten zu vermeiden, beginnt sie, sich anzupassen.
Früh lernt sie, sich unauffällig zu verhalten und bei möglichst allen gut anzukommen – trotz des Gefühls, nicht dazuzugehören. Es fehlt an Vorbildern, an Informationen, an Sprache für das, was sie erlebt. In ihrem Umfeld scheint unumstößlich festzustehen, wie Jungen und Mädchen zu sein haben – und dass Liebe nur zwischen Jungen und Mädchen existieren kann.
In der Pubertät bekommt sie immer häufiger zu hören, sie sei „schwul“ – stets mit negativem Unterton. Diese Zuschreibung verunsichert sie, sie tut vieles, um sich davon zu distanzieren.
So beschreibt B. ihr Aufwachsen als Junge in Schwäbisch Gmünd und Umgebung. Erst mit dem Umzug nach Berlin verändert sich etwas: In der anonymen Großstadt begegnet sie erstmals anderen Menschen, denen es ähnlich geht wie ihr. Sie kann neue Erfahrungen machen – mit sich selbst und in Beziehung zu anderen. Sie erhält Zugang zu anderen Perspektiven auf Geschlecht und Sexualität, jenseits der engen Vorstellungen ihrer Herkunftsregion.

Heute lebt B. als Frau – und ist dankbar, endlich sie selbst sein zu dürfen, ohne sich verstecken zu müssen. Doch der Weg dorthin war lang und oft schmerzhaft. Sie sieht zwar Fortschritte in der gesellschaftlichen Offenheit, sorgt sich aber auch um deren Zukunft:
„Es ist viel gefährlicher, wenn Menschen das unterdrücken, als wenn sie wirklich transitionieren. Es war schon immer da – nur gibt es derzeit mehr Möglichkeiten, das auch zu leben. Und ich habe Angst, dass diese Sichtbarkeit wieder zurückgedrängt wird.“
Wer mehr über B.s Geschichte erfahren möchte, sollte das vollständige Interview lesen. Es lohnt sich.
P Hallo liebe B, Du stammst aus einem Dorf in der Umgebung von Schwäbisch Gmünd und hast als Jugendliche in Schwäbisch Gmünd gelebt. Jetzt bist Du eine Frau, aufgewachsen bist Du als Junge. Wir sprechen miteinander darüber, wie du diese Zeit erlebt hast.
Hast du irgendwann bemerkt, dass bei dir etwas anders ist als bei anderen, oder wie ging es dir damit?
B Okay – ich möchte einmal so anfangen. An sich war das eine sehr schöne Kindheit, behütet und im Dorf aufzuwachsen mit sehr viel Freiheit. Ich war das jüngste Kind meiner Eltern und bin dort aufgewachsen, wo man einfach frei rumrennen kann, ohne dass man sich irgendwie Sorgen machen muss, dass was passiert. Insgesamt war das eine sehr schöne Erfahrung. Im Bezug auf meine Queerness würde ich nicht sagen, dass ich gemerkt habe, dass ich eine Frau bin. Ich würde schon sagen, dass ich bemerkt habe, dass ich anders bin. Meine erste Erinnerung daran ist, dass ich im Kindergarten eine Puppe mitgebracht habe. Das war eine riesen Geschichte und skandalös. Ich hab das nie wieder getan.
P Und wie war das mit der Puppe? Was ist da passiert?
B Da kann ich mich schwer erinnern. Ich weiß nur, dass ich sie mitgebracht habe, weil ich zuhause selbstverständlich mit der Puppe gespielt habe. Ein Junge im Kindergarten hat daraus irgendwie so ein Ding gemacht und dann haben alle anderen auch ein Ding daraus gemacht: dass ein Junge eine Puppe mitbringt, das ging halt nicht. Da war ich traurig und hab die Puppe wieder mit nach Hause genommen. Das war das erste Mal, dass ich bemerkt habe, dass ich Sachen mag, die Jungen nicht mögen sollen. Aber das hat sich generell durchgezogen, auch schon im Kindergarten: alle Jungs waren immer Cowboys beim Fasching, also etwas Männliches, aber ich war immer was anderes. Vielleicht hing es auch mit meiner Mutter zusammen, weil wir zusammen Spaß einfach hatten am Basteln. Bei mir war immer etwas, was nicht in dieses Framework Cowboy, was alle Jungs waren, reingepasst hat. Ich wollte immer mein eigenes kreatives Ding machen.
P Wie hat deine Familie darauf reagiert? Auf dein Anderssein?
B Also an sich sehr gut. Meine Eltern fanden mich einfach ein süßes Kind und haben sich glaube ich einfach nichts dabei gedacht, würde ich jetzt mal behaupten. Allerdings, was für mich auch sehr schwierig war, dass ich von Beginn an von meinem älteren Bruder gemobbt wurde, weil ich anders war.
P Puuh! – Aber noch einmal zurück zum Kindergarten. Wie ging denn eigentlich das Personal dort damit um?
B Keine Ahnung, kann ich nicht richtig sagen. Ich verhielt mich auch nicht so auffällig. Ich habe halt meistens nur mit Mädchen gespielt. Und ansonsten war ich einfach ein cooles Kind. Also ich war halt einfach ein Kind, das am Start war, und ich glaube, das fanden die halt toll. Und dann fanden sie mich super süß und cute. Das war da mein Bonus in all diesem Andersein. Und dann war das auch okay, dass ich ein bisschen anders war. Aber ich war nie Außenseiterin weil ich ja trotzdem charismatisch und hübsch genug war, um dem Status quo so zu entsprechen, den man den toll findet.
P Würdest du sagen, dass dieses Supersüß- und Hübschsein für dich auch eine Strategie war, mit diesem Anderssein umzugehen oder siehst du da keinen Zusammenhang?
B Ich glaube halt, dass einfach dies Süß- und Hübschsein und mein Lächeln beliebt war. Aber das war unbewusst, weil ich ein Kindergartenkind war oder ein Grundschulkind, aber auf jeden Fall war das eine Art von Affektion, die du sonst als Junge nicht immer unbedingt abbekommst. Und deswegen fand ich das vielleicht schon, dass es mich wieder so gefüttert hat, weil es eben eher weibliche Attribute sind, die mir quasi zugespielt wurden, aber so im positiven Sinne, dass es eine positive Experience war, irgendwie so eher weiblichere Attribute abzubekommen und in dem Sinne kann ich mir das schon vorstellen, dass es mir irgendwas gegeben hat, aber genau weiß ich das nicht.
Ich finde es auch schwierig über ein Kind zu sagen: „du warst anders, weil jedes Kind sollte einfach machen können, was auch immer ein Kind will, und was Kinder machen, sollte auch nicht geschlechtlich irgendwie bewertet werden. Und ein kleiner Junge, der Junge bleibt und Mann und straight wird, kann auch mit einer Puppe spielen. Es ist halt einfach so, dass man das automatisch sieht und dann so bewertet. Und vielleicht stimmt das auch irgendwo teilweise bei mir, aber trotzdem finde ich, ein Kind sollte einfach ein Kind sein und das sollte nicht so bewertet werden und es ist auch egal, dass ich jetzt trans geworden bin oder nicht, ich war einfach ein unbekümmertes, glückliches Kind, das sich eben anders ausgedrückt hat als andere Kinder. Aber das heißt nicht – und das war halt das Schöne -, dass meine Mutter oder auch mein Vater, dass sie mich dafür schlecht bewertet haben. Meine Eltern haben mich einfach als ein normales Kind gesehen, was ich ja auch einfach war.
P Wie war das dann als Du vom Kindergarten in die Schule kamst?
B Also ich glaube das blieb relativ ähnlich. Ich war halt weiterhin sehr darauf fokussiert, mit Mädchen befreundet zu sein und es war für mich normal, dass ich fast nur Freundinnen habe. Ansonsten war ich in der Grundschule noch recht unbekümmert. So bestimmte Sachen habe ich aber eher nicht öffentlich gezeigt. Zum Beispiel bin ich immer zu einer Freundin nach Hause gegangen und habe da Mädchenspielsachen gespielt, habe dort Polly Pocket, Barbie und sowas gespielt. Da habe ich auch Konsolen und Fernsehen geguckt, all die Sachen, die ich zu Hause nicht hatte oder auch nicht so richtig durfte. Solche Sachen konnte ich eben bei dieser Freundin machen, aber das waren Interessen, von denen ich nicht unbedingt erzählt habe in der Schule. Ich wusste schon, dass das was ist, was ich nur bei ihr zu Hause mache, und ansonsten ist das jetzt kein Thema. Ansonsten war ich halt schon trotzdem weiter das charmante Kind, das alle süß finden, das aber irgendwie nichts auf die Kette bekommt. Das war halt irgendwie so die Rolle: das schlaue Kind, das süß war, ein bisschen weibliche Züge hat – aber darüber redet man nicht so – halt irgendwie super intelligent, bekommt aber gleichzeitig nichts auf die Kette.
P Ist eine interessante Charakterisierung, intelligent, schlau, charmant, aber kriegt nichts auf die Kette…
Jetzt habe ich noch mal eine Frage: Was waren denn rückblickend die Geschlechterbilder, die im Kindergarten und der Schule vermittelt wurden?
B Also ich muss sagen, einerseits halt voll Prinzessinnen und Cowboy um wieder auf Fasching zurückzukommen. Jedes Mädchen war eine Prinzessin und jeder Junge war ein Cowboy so ein bisschen in die Richtung und es war schon irgendwie klar, dass Jungs eklig sind und Mädchen toll oder so was und so diese klassischen Gegenüberstellungen. Allerdings habe ich das nicht so ganz wahrgenommen, da ich da irgendwie recht früh schon einfach außen vor war. Ich habe mir Freundschaften halt immer anders gesucht. Ich hatte Freundschaften über Klassen und das Geschlecht hinweg. Also das war mir schon immer relativ egal, was da geliefert wird, einfach weil es für mich nicht anders ging.
So war ich halt: obwohl ich irgendwie mein eigenes Ding gemacht habe, trotzdem noch sozial fähig genug, mich dem anzupassen, was halt irgendwie Jungesein bedeutet und mit allen irgendwie abzuhängen. Auch wenn wir gleich über Gymnasialzeit reden, wird es sich so fortsetzen. Ich war sowohl mit den coolen gut als auch mit den Außenseitern gut, ich bin halt sozial so fähig, dass ich, selbst wenn ich nicht innerhalb dieser Rollenbildern existiere, ich trotzdem meinen Platz finde, der mein eigener Platz ist, den nur ich einnehme, aber der jetzt auch nicht irgendwie groß aufmüpfig ist, nur in bestimmten Situationen.
P Dann bist du ins Gymnasium nach Schwäbisch Gmünd gewechselt, und das war doch ein großer Schritt vom Dorf in die Stadt zu kommen, also von der behüteten kleinen Grundschule in das große Gymnasium hier in Schwäbisch Gmünd. Wie hast du diesen Schritt erlebt?
B Ich glaube eigentlich ganz gut. Ich fand es halt einfach cool auf diese Schule zu gehen, weil da wusste ich, dass da schon einer ist, den ich vom Dorf kenne. Das fand ich interessant und dass man da Musik viel gemacht hat, weil ich ja auch schon seit früh irgendwie viel Musik gemacht habe. Und ich fand es halt auch cool, einfach jetzt mal wegzukommen und ganz wichtig: ich habe eine andere Wahl gemacht als alle meine Geschwister. Das finde ich auch, dass etwas Unbewusstes auf meine Queerness hingedeutet hat, ist, dass ich anders sein wollte, egal aus welchem Grund. Ich bin auf ein anderes Gymnasium als alle meine Geschwister gegangen, die alle aufs selbe Gymnasium gegangen sind. Ich bin auf ein anderes Gymnasium als jede Person in meiner Schulklasse gegangen. Sonst sind immer alle aus dem Dorf in dasselbe Gymnasium gegangen. Ich aber musste halt anders sein, ich musste das anders machen, als es alle anderen machen. Das ist so was, was sich konstant bei mir durchzieht. Ich musste die Sachen anders machen, ich musste mich markieren als „ich bin, nicht wie ihr“ und trotzdem habe ich versucht, innerhalb dessen, was sie sind, mich anzupassen und reinzufinden, aber trotzdem mit einer Abgrenzung, dass ich nicht so bin wie sie.
P Ja, und jetzt kommen wir natürlich zu dem größeren Einschnitt der Pubertät. Wie hast du sie erlebt?
B Also ich muss zeigen, Pubertät war für mich sehr schwierig. Aus der Zeit, als ich 14/15 war kann ich wirklich nicht viel erzählen, weil ich es einfach nicht weiß. Auf jeden Fall habe ich dann auch meine erste Beziehung gehabt mit einem Mädchen. Aber das war halt schon das erste Mal, dass ich irgendwie gemerkt habe, wenn ich jetzt Heterosexualität performe, dann werde ich weniger angeguckt und das ist das, was sich relativ gut durchgezogen hat. Also ich weiß nicht, ob ich es so bemerkt habe, aber es war auf jeden Fall klar: sobald ich eine Freundin habe, dann werde ich klar als Junge gesehen und werde nicht mal als schwul betitelt und irgendwie war das ein recht guter Ausweg. Ansonsten kam mit der Jugendzeit halt auch der Konsum von Alkohol. Ich habe in jungen Jahren schon sehr viel getrunken. Und mit sowas habe ich auch einen Coolness Faktor bekommen und so ein Coolness Faktor saved dich halt auch davon irgendwie mehr bewertet zu werden.
Ich glaube, ich bin immer so ausgewichen, dass ich nicht groß bewertet wurde und habe mich dann halt auch einerseits mit den Außenseiter*innen sehr gut angefreundet, weil ich halt auch anders war. Gleichzeitig war ich halt auch cool, weil ich getrunken habe und so, und deswegen war ich auch mit den cool Kids eigentlich ganz gut. So habe ich das halt gut navigiert, irgendwie nicht groß aufzufallen, obwohl alles an mir auffallend anders war. Und ich glaube, das war so meine Navigation, die ich da gut durchgezogen habe.
Je älter ich wurde so mit 17/18 kamen dann halt auch so Geschichten wie, wenn man trinken geht, stoßt man an und setzt dann ab: „sonst gibt es schwule Kinder.“ Und ich glaube, so was, das ist halt so ein Satz, der sehr einschneidend war für mich, weil es das das erste Mal war, als in mir so etwas gedämmert hat: warte mal du, was gerade war, das verleugnet irgendwas in dir drin, und das fand ich halt schon irgendwie krass. Aber ansonsten habe ich in der Pubertät halt alles gut navigiert, weil ich gut in sozialen Settings funktioniere einfach.
Und ich bin aufgefallen, weil ich anders war: ich habe mich anders angezogen, ich hatte so einen Hipster Stil, dann hatte ich lange Haare. Ich hatte Interessen, die nicht männlich waren, ich hatte fast nur Freundinnen, und genau um diese auffallende Position, die ich irgendwie hatte in dieser sehr heteronormativen Stadt zu navigieren habe ich halt versucht, mich gleichzeitig dieser straighten Jungen-Rolle anzupassen, sei es durch Beziehungen, sei es dadurch, dass ich mit sehr junger Zeit einen sehr langen Bart hatte und halt irgendwie mit: ich bin cool, ich gehe trinken. Das sind halt irgendwie so alles kleine Taktiken, wie ich gefahren habe, um ein bisschen die Aufmerksamkeit von mir wegzunehmen.
P Okay, jetzt hast du ganz viel von dir selber erzählt, total interessant. Ich möchte dich aber auch bitten mal von dir selber auf die gesellschaftliche Ebene zu gehen. Du hast ganz oft gesagt, es gab da irgendwelche Bewertungen und du wolltest nicht negativ bewertet werden. Und kannst Du das mit der heteronormative Stadt Schwäbisch Gmünd noch ein wenig ausführen? Was war dieses Bild, wie ein Junge, wie ein Mädchen sein muss und was wäre so schlimm daran gewesen, diesem Bild nicht zu entsprechen?
B Was ein Junge sein muss, das war schon klar. Du solltest als Junge nicht so weibliche Züge haben. Du solltest Fußball spielen und du solltest halt nur mit Jungs abhängen und irgendwie nur Autos spielen und keine Mädchenfreundschaften führen und so was. Als Mädchen solltest du auf jeden Fall Jungs eklig finden, aber trotzdem interessant, weil du ja um deren Aufmerksamkeit irgendwie buhlen solltest. Was mir halt klar war, dass ich in dem Sinne nicht wie die anderen Jungs war, weil mir die Schwulenrolle konstant hingeschmettert wurde in dem Sinne, und das war halt das, woran ich gemerkt habe, dass ich nicht in dieses Bild reinpasse.
P Und wie hat sich das geäußert?
B „Er ist voll schwul, oh mein Gott, der ist so schwul“, ja einfach nur solche Kommentare, also konstant und irgendwie meine Battle als Teenager war halt einfach stets dem auszuweichen. Und dadurch, dass mir halt gesagt wurde, dass ich schwul wäre, habe ich gemerkt, dass ich nicht in dieses Bild reinpasse. Und ich wusste aber auch nicht ganz, was diesem Bild entspricht, aber trotzdem habe ich versucht, diesem Bild hinterher zu jagen. Ich hatte Beziehungen mit Frauen, habe versucht, meine Feminität runterzufahren und lauter solche Geschichten.
P Aber jetzt noch mal die Frage: was wäre so schlimm daran gewesen, schwul zu sein in einer Schule in Schwäbisch Gmünd?
B Naja, mir wurde gesagt, dass Schwulsein schlecht ist. Schwulsein ist schlecht, Schwulsein ist peinlich, Schwulsein ist eklig, Schwulsein ist böse, Schwulsein ist falsch und das ist das, was mir also erstens von meinem Bruder von Anfang angesagt wurde und dann von anderen auch Aber auch solche Äußerungen wie „sonst bekommt man schwule Kinder“. Es ist einfach normal gewesen, Queerness aus einem schlechten Blickwinkel zu betrachten. Es wurde dir klar kommuniziert, dass Queerness schlecht ist.
P Darf ich nochmal nachfragen worin das schlechte bestand? Wurde das genauer deutlich für dich?
B Also mir wurde nicht klar warum es schlecht war. Es war einfach schlecht, weil es nicht so ist, wie man zu sein hat oder wie alle sind. Es war halt Scheiße, es war schlecht und du warst eklig, wenn dir das vorgeworfen wurde und deswegen war es ein Kampf diesem Label zu entrinnen sozusagen.
P Und in welchem Zusammenhang hast du denn das erste Mal davon erfahren, dass es auch andere Sexualitäten als die Heteronormativen gibt?
B Kann ich dir nicht sagen, das weiß ich nicht. Also ich meine das hat man halt mal im Fernsehen oder so mitbekommen.
Als Conchita Wurst den ESC gewonnen hat, das war schon so etwas. Aber meine Reaktion darauf war so: wenn die schon eine Frau sein will, warum dann mit Bart, das ist voll eklig so. Das ist das erste Mal, dass ich so ein alternatives Geschlechtsbild irgendwie im Kopf hatte. Ansonsten ist mir andere Sexualität eher begegnet in dem Sinne, dass ich dann irgendwann mit 16/17 Jahren im Café angefangen habe zu arbeiten. Und dort waren Menschen, die an der PH studiert haben oder an der Hochschule für Gestaltung und dort war eben eine befreundete Person, die schwul war. Und ich glaube, diese Begegnung mit diesem schwulen jungen Mann, das hat mir zum ersten Mal irgendwie gezeigt: „Jo, das kann auch irgendwie, da sehe ich mich irgendwo drin.“
Ich bin dann nach Berlin gezogen und habe dort eine Ausbildung angefangen und dort habe ich viele schwule Menschen getroffen. Dann habe ich angefangen, in einem Kleidergeschäft zu arbeiten. Da habe ich auch viele schwule Menschen getroffen. Da habe ich auch einen anderen jungen Mann getroffen, der das auch nicht definieren konnte, was er war, aber wusste, dass er anders war und diese Freundschaft hat mir das dann auch irgendwo gezeigt.
P Was hat für dich Berlin attraktiv gemacht und was hat dir Berlin geboten, was dir Schwäbisch Gmünd nicht geboten hat und umgekehrt, was hat dir in Schwäbisch Gmünd gefehlt?
B Ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich machen will, sondern dass ich einfach eine junge erwachsene Person sein möchte in einer Stadt, in der man frei sein kann und eben dann habe ich gemerkt, dass Berlin mir das bieten kann. Und diese Freiheit ist halt das, was mir Gmünd nicht bieten konnte, eben eine komplette freie Möglichkeit, mich auszudrücken, eine Anonymität. Diese Anonymität, glaube ich, ist auch was Wichtiges, was in Gmünd halt nicht bestehen konnte. Hier gab es keine Anonymität und Anonymität bedeutet halt auch, dass man sich ausleben kann.
Und irgendwie war das halt ein schönes Geschenk, was mir Berlin ermöglicht hat. Und mit dieser Anonymität konnte ich immer mehr ausprobieren. Das hat natürlich trotzdem Jahre gebraucht, bis ich zu dem Punkt gekommen bin, wo ich jetzt bin. Allerdings konnte ich halt ausprobieren: In Gmünd hätte ich nicht so die Möglichkeit gehabt mich auszuprobieren, weil erstens der Rahmen mit Größe und Anonymität und mit bestimmten Freiräumen, mit Begegnungen, die du machen kannst, nicht gegeben war. Du konntest in Berlin einfach Begegnungen mit Menschen haben, die komplett verschiedene Lebensvorstellungen, komplett verschiedene Lebensarten hatten, auch Queerness, Und diese Begegnungen gibt es hier in Gmünd nicht oder viel weniger. Und wenn die Leute zum Beispiel queer sind, dann wird das nicht so krass nach außen getragen. Und deswegen lebe ich nicht mehr hier. Ich weiß aber nicht wie es jetzt ist, aber ich glaube, jetzt ist es anders.
P Das mit der Anonymität, das ist mir vor allem als Stichwort im Kopf geblieben. Und was mir auch als Stichwort im Kopf geblieben ist, ist die Begegnung mit Menschen mit unterschiedlichen Biografien und vielleicht auch Sexualitäten.
B Diversität, Anonymität und Diversität und Begegnungen mit beidem.
P Okay und verstehe ich das dann richtig, dass Berlin für dich viel besser die Möglichkeit geboten hat als Schwäbisch Gmünd, das herauszufinden, was eigentlich mit dir los ist und welchen Weg du für dich einschlägst.
B Ja definitiv und ich meine auch nicht ohne Schwierigkeiten und auch nicht ohne Sackgassen und umdrehen, aber auf jeden Fall eben ausprobieren war eine Möglichkeit und hier in Gmünd gibt es kein Ausprobieren hier oder gab es nicht. Es ist ein Weg, du hast deinen Weg und den Weg gehst du und alle gehen fast den gleichen Weg oder einen ähnlichen Weg. Und du musst wissen, was für einen Weg du gehst. Und das sind halt Sachen, die ich nicht weiß, nicht wusste. Ich musste mich ausprobieren.
P Versuch dir mal so spielerisch eine alternative Biografie auszudenken: gesetzt den Fall, du wärst jetzt in Schwäbisch Gmünd geblieben und du hättest trotzdem auch dahinter kommen wollen, wer du jetzt eigentlich bist und das auch leben und dazu stehen wollen. Wie wäre das gewesen?
B Ich glaube, ich hätte mich noch viel länger zurückgehalten und mich viel mehr in die Rolle gedrängt, in der ich schon war. Andererseits hätte es auch in Gmünd Möglichkeiten gegeben, weil ich mich ja hier auch schon an den Andersdenkenden, freiheitlich lebenden Menschen orientiert habe. Aber trotzdem sind die andersdenkenden älteren Menschen in Gmünd noch weit nicht so divers wie die in Berlin.
Weißt du, und deswegen hätte ich da, glaube ich, noch länger gebraucht. Ich meine, es gab 2 schwule Personen, die ich in diesem Zusammenhang hier kannte. Ansonsten ja, aber ich denke mir, es hätte schon auch passieren können, ich hätte schon auf den Trichter kommen können, aber es wäre schwieriger geworden. Und ich glaube, mein inneres Selbst hätte sich trotzdem nach mehr gesehnt. Vor allem, weil ich ja schon früher auch angefangen habe nach Berlin zu gehen, mal für einen Trip oder sowas und halt irgendwie die Luft geschnuppert habe.
P Du sprichst jetzt immer von Personen und Begegnungen oder Ausprobieren. Welche Rolle haben eigentlich für dich Informationen gespielt? Das ist doch auch wichtig in dem Fall, Informationen über andere Sexualitäten zu bekommen.
B Ich glaube, sie haben gerade eine Rolle gespielt, weil sie mir gefehlt haben. Weil sie mir nicht erzählt wurden und ich mich dadurch nicht identifizieren konnte. Informationen habe ich erhalten durch mein Weggehen und dadurch, dass ich dort Menschen getroffen habe, die mir Informationen gegeben haben. Aber ansonsten gab es hier halt nicht so viele Informationen und ich glaube, die fehlenden Informationen haben auch eine große Rolle gespielt dafür, dass ich in Gmünd nichts mitbekommen habe.
P Ja. Gab es denn in der Schule keine Informationen über andere Sexualitäten?
B Unser Vertrauenslehrer war ein offen homophober Mann gewesen, also Homosexualität wurde nicht besprochen, trans sein erst recht nicht, Transidentität gar nicht. Auch von der Schüler*innenschaft gab es niemanden, der Queerness gelebt hat, von der Lehrer*innenschaft gab es niemanden, der Queerness gelebt hat. Im Schulunterricht Sexualkunde wurde Homosexualität oder Transidentität nie besprochen.
P Aber ihr habt Sexualkunde gehabt?
B Ja, aber es ging gleich um Reproduktion und Biologie. Und dann hatten wir extra so Sachen, wo dann so Leute für einen Workshop vorbeigekommen sind und dann über Reproduktion und über Kondome und nicht schwanger werden geredet haben. Also es war schon ein offener Umgang mit Sexualität, aber halt cis-heterosexueller Sexualität und außerhalb cis-heterosexueller Sexualität wurde über nichts gesprochen.
P Das heißt, das wurde einfach ignoriert oder wurde es irgendwie negativ angesprochen?
B Nö, es wurde einfach gar nicht angesprochen.
P Also auch nicht negativ.
B Nö, nicht negativ, aber das Negative war halt der Ruf den es hatte, so oder so. Aber es wurde jetzt nicht im Unterricht als negativ bewertet dargestellt.
Später habe ich auch noch andere Menschen getroffen, die an späteren Punkten im Leben eine queere Sexualität oder Geschlechteridentität ausgelebt haben. Die haben das aber alle an einem späteren Punkt gemacht und nicht während der Schulzeit. Ich würde das aber auch bewerten als Moment der Zeitumstände. Bei Kindern die 2/3 Jahre jünger sind als ich, ist das schon eine andere Geschichte. Eben mit dem Beginn der sozialen Medien. Die soziale Medien sind mit mir gekommen, Instagram ist mit mir größer geworden.
Mit der Ankunft der sozialen Medien kamen halt mehr Informationen und hat man mehr gesehen. Da haben junge Leute, haben Youtuber*innen oder Influencer*innen konsumiert, die offen Queerness gelebt haben und deswegen würde ich auch behaupten, dass in den Jahrgängen unter der Zeit nach mir, da auf jeden Fall eine viel größere Veränderung stattgefunden hat und auch jüngere Menschen, Eltern waren, wo man über solche Dinge geredet hat. Dass das auf jeden Fall bei denjenigen, die jünger waren als ich eine andere Geschichte ist wie bei mir. Ich war wirklich so der letzte Moment bevor soziale Medien groß waren. Und soziale Medien wurden groß, groß.
P Welche Jahreszahl würdest du sagen? Wann war das als soziale Medien so wichtig wurden?
B Also es hat schon angefangen 2013-2015, aber dann das richtige Durchstarten würde ich schon sagen 2016 /17. Davor war das immer noch ein Ausprobieren. Und noch nicht so fest. Und es war noch keine Industrie. Das ist wichtig, weil erst dadurch, dass eine eigene Industrie entstand und es eine kapitalistische Auswertung gab, gab es eben mehr davon. Und wird das mehr gepusht und wird das erkannt und wird das als Marketing genutzt, wird das von allen gepusht, dann wird Werbung gepusht, sprich, es wächst noch mehr. Und das kam halt alles 2016 /17.
P Internet gibt es ja schon lange, aber das hat ja zunächst, wie du sagst, gar nicht so viel verändert für den Zugang zur Information.
B Für viele trans Personen Ende der 90er und Mitte der 2000er war es so: wenn sie gesucht haben, haben sie im Internet gefunden. Aber dafür musstest du zuerst mal checken, wer du bist, um dann die Information zu finden. Ab 2017 haben junge Menschen das gesehen, weil es ihnen gezeigt wurde. Man konsumiert über die sozialen Medien sozusagen Menschen, die offen darüber reden, wer sie sind. Und deswegen siehst du mehr. Dann kann ich mich auch leichter identifizieren und dann suchst du nach Informationen oder die Informationen werden dir mehr einfach so ins Gesicht gespült, ohne dass du was dafür tun musst. Du musst nicht mehr nach einem Forum suchen, sondern bekommst es zu sehen einfach wenn du dein Handy öffnest.
P Okay also, das heißt, das Internet hat sich in Bezug auf diese Gender Thematik verändert. 2005 zB wärst du darauf angewiesen gewesen, ein bestimmtes Forum zu kennen, wo du dann auch Informationen bekommen hättest.
B Genau es haben eben spezifische trans Foren bestanden, wo schon informiert wurde, sehr früh. Es gab dann so Anfänge, wo Trans Menschen halt auch auf YouTube angefangen haben über ihre Transition zu reden und dann kann es auch sein, dass da jemand aus Versehen riesig wird und dann siehst du das einfach und das ist halt irgendwie ein definitiver großer Unterschied.
P Das war dann also eine neue Ära des Internets
B Also erstens eben durch Geschichten von Menschen und durch die Kommerzialisierung des Internets, weil erkannt wurde, dass Internet-Marketing Geld bringt. Wodurch Internet halt noch mehr gepusht wird, wodurch einzelne Stories noch mehr gepusht werden, weil jetzt einzelne Personen als Werbetafel fungieren können und deswegen werden die spezifisch gepusht und deren Stories werden auch gepusht, weil die nicht nur erzählt werden, sondern auch vermarktet werden.
Und du kannst eine Karriere darauf bauen, dich zu öffnen und dein Leben zu präsentieren, sei es inszeniert oder authentisch. Und immer der Versuch, die Authentizität darzustellen, egal wie authentisch sie im Endeffekt ist. Das ist das ultimative Ziel all dieser Menschen im Internet, weil je authentischer du dich präsentierst, sei es echt oder nicht, desto mehr kriegst du eine finanzielle Rückerstattung für das Ganze und je mehr du von dir zeigst, desto mehr kannst du verdienen und egal wie ethisch das Ganze auch ist.
P Okay das ist zwar ein Seitenthema, aber das spielt ja auch für deine Geschichte eine Rolle. Weil ohne diese Entwicklung im Bereich des Internets, also zu Social Media wäre auch deine Geschichte anders verlaufen. Es spielt also nicht nur dieses Thema Schwäbisch Gmünd/ Berlin eine Rolle, sondern es spielt auch eine Rolle, was sich da im medialen Bereich verändert hat. Man spricht ja auch jetzt von sozialen Medien, während man früher einfach vom Internet gesprochen hat.
B Das sehe ich auch so. Ich habe auch die Entwicklung in Gmünd beobachtet, als ich dann irgendwann gesehen habe, dass in einem Café ein junger Mann mit langen Fake Nails bedient. Und er ist feminin gekleidet, offensichtlich queer. Ein queerer 17/18 jähriger, der in Gmünd in einem Café arbeitet, 5 Jahre nachdem ich weg bin aus Gmünd.
Das ist was, was ich mir nicht hätte vorstellen können in Gmünd. Und vorletztes Jahr oder so, wo ich eine Pride Flagge gehisst in Gmünd gesehen habe, was auch was ist, was für mich unvorstellbar war. Aber gleichzeitig weiß ich nicht, ob das wirklich junge Leute aus Gmünd waren oder etwas, was von der HFG kommt oder von der PH.
P Ja, das ist alles interessant und spannend. Jetzt habe ich noch mal eine Frage.
Du hast dir ja durch Ausprobieren und das Sammeln von Erfahrungen selber helfen müssen und das ist ja auch immer das Entscheidende, dass eine Person selbst ihren Weg sucht und findet. Aber was hätte denn die Gesellschaft tun können, um dich zu unterstützen?
B Ich finde es superwichtig, dass über queere Sexualität und Transidentität im Sexualkundeunterricht gesprochen wird und dass daran gearbeitet wird, keine negative Wertung dementsprechend zu machen. Allerdings ist es ein schwieriges Feld, weil viele junge Menschen auch anders gehen oder religiös anders aufwachsen. Aber trotzdem ist es wichtig sensibilisiert und sensibel auch so mit einem intersektionalen Blickwinkel ranzugehen und halt auch an Religion oder eben Islam und solche Geschichten. Dass man das halt ansprechen muss, dass man das hört, dass man lernt, dass das auch was ist, das normal ist, und das finde ich eine superwichtige Sache und ich finde, dadurch kannst du schon helfen.
Ich habe sehr lange gebraucht, um auf meinen Trichter zu kommen. Ich habe mit 26 beschlossen, meine Transition zu beginnen, und das ist eine sehr lange Zeit und es ist teilweise auch spät. Allerdings bin ich sehr froh, dass ich das erst in dem Alter gemacht habe, weil ich eine gewisse Differenzierung und einen gewissen Weitblick schon habe. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre ich viel naiver an das Ganze rein gegangen und hätte vermutlich auch Entscheidungen getroffen, die mir nicht gutgetan hätten. Allerdings hätte das eigene Tempo beim Herausfinden auch mit mehr Informationen gegeben sein können.
Information ist wichtig, die wichtigste Ressource, die du geben kannst und die einfach zu präsentieren ist. Und es ist kein Ding in der Sexualkunde kurz über schwulen und lesbischen Sex zu reden. That’s easy, ganz kurz über Transidentität zu reden ist einfach, es ist kein großes Ding.
Ich hätte gemerkt oder die ganzen Homophoben bei mir hätten gemerkt, dass es nicht schlimm ist. Ich meine, es geht doch einfach darum, den heteronormativen Blickwinkel auf die Welt ein bisschen zu verschieben und zu öffnen. Und sei es für die queeren Menschen, die es brauchen, um zu checken, dass sie nicht falsch sind. Oder sei es für die hetero Menschen, die checken, dass die anderen nicht falsch sind, sondern dass das auch normal ist.
P Also dir wäre es jetzt auch nicht darum gegangen, dass man da ein großes Aufheben drum macht.
B Sondern es normal behandeln. Einfach erwähnen. Erwähnt es doch! Warum muss es totgeschwiegen werden und ich bin mir sicher, dass es inzwischen ja auch anders ist. Es gibt doch jetzt auch dieses neue Vielfalts- Schulfach in Baden-Württemberg. Aber das ist umstritten.
Ich weiß auch, dass ein Junge aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin und mit dem ich als Kind gespielt habe, mich mal kontaktiert hat, weil er auch schwul war. Wenn es wenige sind, heißt es nicht, dass es nicht da ist. Selbst in diesem kleinen Dorf gibt es mindestens 2,3,4,5 Menschen, die dort queer sind.
P Wenn über was in der Schule informiert wird, dann sagt man damit auch, das ist Realität und hat eine Bedeutung. Aber Information heißt jetzt nicht, du musst unbedingt mal schauen, ob du das selber bist oder so, sondern heißt einfach das ist da, gehört zu unserer gesellschaftlichen Realität dazu und das gibt es jetzt wahrscheinlich nicht so oft wie das Heteronormative, aber es ist trotzdem da. Und das war zu deiner Schulzeit einfach nicht so.
B Also es kam mir schon so vor, dass ich irgendwie geschlechtlich mich nicht ganz einordnen kann. Sobald ich angefangen habe, schwul oder bisexuell zu leben, kam mir das irgendwie schnell auf. Und dann habe ich den Unterschied zwischen Sex und Gender gelernt. Dass eben viele Menschen nicht binär waren, das fand ich immer interessant.
P Was ist der Unterschied zwischen Sex und Gender?
B Also Sex ist das körperliche Attribut und Gender ist sozusagen das, wie man sich fühlt. Sex und Gender können übereinander einstimmen, aber Sex und Gender können auch quasi auseinandergehen. Gender ist quasi die soziale Rolle, die man spielt, die man ist und die man teilweise auch performt. Und diese Rolle kann eben vom Sex des Geschlechts abweichen. Im Deutschen gibt es halt nur ein Wort. Bei dem Englischen sind es 2 Wörter. Sex ist quasi Geschlecht im Sinne von welche Geschlechtsteile du hast, welches Geschlecht dir bei der Geburt zugewiesen wurde und Gender ist halt sozusagen Geschlecht in dem Sinne wie du Geschlecht lebst.
In einem Festival war ich irgendwann so nachts unterwegs und dann kam mir der Gedanke: ich bin Mann und Frau. Und das war so der erste Punkt, wo das so aufkam.
Als ich mich intensiver damit beschäftigt habe, habe ich eine Reality Show geschaut und dort hat jemand halt irgendwie darauf bestanden, dass diese Person die Pronomen they/them im Englischen benutzt und das fand ich irgendwie inspirierend. Und von da an dann habe ich eben als nicht binär gelebt und ich habe das auch sehr ausgelebt. Ich war da sehr lange drin, hab mich weder männlich noch weiblich definiert. Trotzdem hab ich natürlich in einem männlichen Körper gelebt, wurde als männlich gelesen.
Und irgendwo hat mir das halt nicht gereicht, als männlich gelesen zu werden. Irgendwie war das für mich nie, wie es wirklich zu mir gepasst hat. Allerdings war für mich die Vorstellung zu transitionieren, Hormone zu nehmen, sehr angsteinflößend. Weil es halt einfach schwierig ist, erstens als transitionierende trans Person zu existieren in der Welt und halt auch was es für Nebenwirkungen haben kann, was deinen Körper betrifft, wie es dir da halt damit geht, ist halt auch sehr schwer.
Ich habe eine trans Frau gekannt, die ihre Transidentität verheimlicht hat. Niemand wusste, dass sie trans ist. Sie ist quasi ein Jahr von der Bildfläche verschwunden und kam dann zurück und niemand weiß wirklich, dass sie trans ist, außer wenn du sie vorher kanntest.
P Das heißt, sie ist als Frau wieder aufgetaucht.
B Stealth nennt man das Konzept. Stealth bedeutet halt quasi, dass du als trans Person undercover in der heteronormativen Welt lebst und niemand weiß, dass du trans bist. Dafür musst du halt passen. Passing bedeutet halt, dass du aussiehst, wie eine cis Person und das ist halt ein Ziel, was viele trans Menschen haben für ihre eigene Sicherheit. Das ist aber ein sehr schwieriges Ziel, weil das oft unerreichbar ist und du quasi einem Standard hinterherrennst, den du mit deinem gegebenen Körper einfach nicht erreichen kannst. Deswegen ist das halt irgendwie auch ein sehr toxischer Weg, mit dem ich mich nicht identifizieren konnte.
Und da habe ich halt eine andere trans Person kennengelernt, eine trans Frau, die eher offen damit umgegangen ist. Und das fand ich inspirierend. Mit ihr habe ich ein Gespräch gehabt, wo ich angesprochen hatte, dass ich mich schon gefragt habe, ob ich eine trans Frau bin und sie hat mich nur angeguckt und meinte: „du bist eine trans Frau!“ Die Begegnung mit ihr hatte das Ganze irgendwie angestoßen. Ich erinnere mich auch noch, dass ich auf einem Geburtstag war und mich mit meinem alten Namen vorgestellt habe und sich das falsch angefühlt hat. Weil es sich nicht richtig angefühlt hat, habe ich den Geburtstag recht früh verlassen und auf dem Rückweg habe ich Friends von mir, meinem neuen Namen geschrieben und gesagt: „ich lege jetzt los!“ Und das hat den Anstoß gegeben. Seitdem lebe ich halt eben als Frau, als trans Frau. Ich fühle mich am Komfortabelsten zu existieren als Frau und trotzdem ist es für mich sehr wichtig, dass noch eine queere Geschlechteridentität dahinter steckt. Ich will jetzt nicht als cis Frau leben, das geht irgendwie nicht, weil für mich das trans-Sein inhärent zu mir einfach gehört.
P Ja, und da hast du ja vorher auch eine wichtige Thematik angesprochen, nämlich Sicherheit
B Als trans Frau hast du quasi die Unsicherheit, die es hat, als Frau zu leben auf der Welt. Aber du hast noch eine zusätzliche Ebene, weil du halt noch dazu eine trans Frau bist. Sprich, du wirst eventuell nicht nur beleidigt oder belästigt, weil du eine Frau bist, sondern dazu noch, weil du eine trans Frau bist. Die Beleidigungen können dann halt noch in eine andere Richtung gehen und die Gewalt kann noch eine andere Motivation oder Dimension haben. Und wenn man zum Beispiel schwarz dazu noch ist, dann ist es halt noch eine dritte Dimension.
P Ich kann mich ja noch daran erinnern, wie wir mal zusammen in einer ländlichen Gaststätte waren. Da konnte ich richtig miterleben, wie das ist, wenn man mit dir zusammen da reingeht und da sind lauter Leute, in deren Alltag eine trans Person einfach nicht vorkommt. Als wir reingegangen sind, sind uns alle Blicke sofort gefolgt und wir waren so völlig im Fokus. Ich fand das ein seltsames Gefühl. Bedrohlich habe ich es jetzt nicht empfunden, aber man könnte es vielleicht auch als bedrohlich empfinden. Alle starren mich an, warum tun sie das oder wie, wie äußert sich das jetzt bei dir sonst?
B In meinem Alltag merke ich einfach, dass ich viel angeschaut werde und ich kann die Blicke schon deuten, in welche Richtung die gehen. Natürlich werde ich auch von Männern viel angeguckt. Man sieht, dass ich trans bin, aber ich habe trotzdem so ein „pretty Privilege“, weißt du, man findet mich trotzdem attraktiv. Männer sind oft ein bisschen verwirrt. Ich glaube schon, dass viele Männer mich anziehend finden, aber dann damit verwirrt sind, irgendwie oder das halt eh nicht zugeben würden. Ansonsten merke ich halt, ich werde angeguckt und ich muss halt schauen, wie ich navigiere: wo ich mich sicher fühle, wo ich mich unsicher fühle. Das kann ich dir auch schon sagen, dass ich mich auf der Frauentoilette unsicher fühle, dass ich überlege, gehe ich da jetzt rein oder warte ich lieber, bis ich wohin komme, wo ich weiß, dass der Toiletten Gang sicher ist wie auf meiner Arbeit. Oder in der Uni, wo es geschlechtsneutrale Toiletten gibt. Oder ob ich vielleicht jetzt einfach gar nicht auf Toilette gehe und warte, bis ich zu Hause bin, oder ob ich das einfach mache und einen Scheiß drauf gebe, weil es eh passen würde, weil ich jetzt in einer coolen linken Bar bin, wo das niemanden juckt.
Ansonsten muss ich halt gucken, ob die Blicke jetzt aggressiv werden oder nicht. Mir ist noch nie Gewalt in diesem Sinne begegnet, aber ich wurde schon mit einem degradierenden Wort für trans Frauen beschimpft auf der Straße, ich wurde schon von einem Auto verfolgt, das Auto hat mich angehalten und hat mich beschimpft.“ Oder zB wurde ich von einem Mann verfolgt auf dem Weg zur Therapie, aber er konnte mir eh nicht in die Therapie folgen. In der Therapie konnte ich gleich loswerden, wie eklig es sich angefühlt hat, dass dieser Mann mich verfolgt.
Das sind halt schon Sachen, die mir begegnen, aber gleichzeitig navigiere ich das eigentlich ganz entspannt, weil ich will einfach mich und meinen Alltag nicht von diesem Risiko, das meine Existenz in sich trägt, irgendwie unterbrechen lassen, sondern einfach mein Leben leben, wie ich mein Leben lebe. Wenn mir was passiert, versuche ich halt das zu navigieren oder auszuweichen.
P Du hast jetzt beschrieben, wie es dir in Berlin geht mit diesem Navigieren. Manchmal sind da schon Situationen, aber du kommst irgendwie zurecht. Du hast ja auch dein Umfeld, wo Menschen sind, die so sind wie du. Aber wenn du dir jetzt vorstellst, du würdest in Schwäbisch Gmünd leben, so wie du jetzt bist, wie würde es denn dir hier gehen?
B Also gestern wurde ich hier auch schon angeguckt. Aber das Ding ist, hier hast du viel weniger Möglichkeit Anonymität zu erleben und in der Menge zu verschwinden, wie in Berlin. Ich werde dort angeguckt, aber da kann ich die U Bahn verlassen und da sind 100 andere Menschen und dann steige ich irgendwo aus und dann verliert man sich und ich kann halt auch, wenn ich eine gefährliche Situation erlebe, dem entkommen. Das ist hier in Gmünd viel schwieriger. Hier siehst du oft ähnliche, gleiche Menschen. Du kannst nicht irgendwie in der großen Menge untertauchen, du kannst dich nicht in eine U Bahn setzen und kurz eine Station wegfahren oder so. Es ist alles sehr räumlich begrenzt und das wäre für mich glaube ich schwieriger. Allerdings würde ich auch sagen, in einem Jahr oder so, wenn ich weiter in meiner Transition fortgeschritten bin dann wäre das vielleicht eine andere Geschichte. Aber aktuell wäre das für mich keine Option hier zu leben, weil ich mich viel zu sehr auf dem Präsentierteller sehen würde.
P Das ist interessant und auch wichtig, diese Rückmeldung zu sehen: Hier, in einer Stadt wie Schwäbisch Gmünd musst Du Dich ständig damit auseinandersetzen, dass Du eher im Fokus der Aufmerksamkeit bist.
Mich würde noch eine andere Sache interessieren: Du redest eigentlich immer so, als ob Deine Transition so was ist, was du ganz mit dir und deinen Freunden und dann den den sozialen Medien dem Internet abmachst. Welche Rollen spielen eigentlich dabei so staatliche Stellen oder das Gesundheitswesen, die ja auch in dem Bereich Transition aktiv sind?
B Also die spielen schon eine Rolle in dem Sinne, was sie mir halt erlauben zu sein. Das Gesundheitswesen gibt mir die Möglichkeit die Hormone zu haben. Allerdings misstraue ich Ärzten und Ärztinnen teilweise schon, weil sie in mir ein ungutes Gefühl auslösen und mich halt irgendwie eher so abfertigen und nicht auf meine individuellen Bedürfnisse eingehen. Und es gibt halt in der Transition keine Lösung wie „One size fits all“. Aber du musst halt quasi das medizinische System so viel ausschlachten, wie es für dich Sinn ergibt und das schon navigieren irgendwie. Ich habe jetzt auch noch keine OP`s oder so gemacht. Deswegen habe ich jetzt noch nicht versucht irgendwelche Kostenvoranschläge einzuholen. Aber das ist alles sehr kompliziert. Darüber habe ich mit vielen trans Menschen auch schon geredet, die absolut gar kein Vertrauen darin haben.
Für staatliche Stellen bin ich dankbar, weil ich mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz halt meinen Namen, mein Geschlecht unkompliziert ändern konnte. Aber dem vertraue ich auch nicht, weil die neue Regierung im Wahlkampf damit argumentiert hat, dieses Gesetz einfach sofort fallen zu lassen. Und das im gleichen Zuge, wie man in den USA sieht, dass trans Menschen keine neuen Pässe erstellen können oder nur Pässe erstellen können, die ihre alten Geschlechtermarker haben. Das kommt halt generell mit einem starken Wachstum von Anti-trans Ressentiments, die irgendwie in der Politik auch Fuß fassen. Deswegen ist es für mich jetzt sehr wichtig gewesen, das jetzt zu erledigen, solange dieses Gesetz besteht, weil ich schon aktive Angst habe und auch meine Freund*innen, dass es wieder rückgängig gemacht wird. Man hat einfach generell als trans Person oft kein Vertrauen in den Staat, kein Vertrauen in medizinische Institutionen. Man braucht diese Sachen, um zu existieren, aber es wurde immer wieder bewiesen, dass man sich nicht darauf verlassen kann. Viel wichtiger ist man auf das Wissen angewiesen, das man innerhalb der Community austauscht. Und dann mit dem Wissen, was man austauscht, handeln und das rausnehmen, was man aus dem öffentlichen System kriegen kann, aber da muss man jetzt gerade eben schnell sein.
Und es ist auch schwierig. Ich kenne Menschen, die haben sich noch nicht entschieden, welche Geschlechter, welches Geschlecht sie sein wollen. Sie fühlen sich gerade unter Druck gestellt, irgendwie jetzt schnell zu agieren und es ist einfach schwer, weil du halt nicht weißt, was Sache ist. Und ich bin jetzt sehr froh, dass ich es für mich easy erledigt habe. Aber andere Leute haben es noch nicht easy erledigt und wer weiß, was als nächstes kommt, das ist eine Unsicherheit, die besteht.
P Und auf deinem Weg in die Transition hinein war ja, wenn ich das richtig verstanden habe diese Community, also andere Menschen, die auch das Geschlecht verändert haben, wichtig, auch für Informationen. Gibt es da Selbsthilfegruppen oder auch etwas Organisiertes?
B Also in Berlin zum Beispiel gibt es so einen Telegram Channel, wo man sich halt in so verschiedenen Untergruppen austauschen kann. Diese Untergruppen reichen von generellen Informationen zu Hormonen und zu Housing.
P Wie ist das zum Beispiel mit Beratungsstellen?
B Also ich bin jetzt zu Beginn meiner Transition zu einer Beratungsstelle gegangen, die mir halt die ersten Schritte nahegelegt hat. Aber die würde ich eher lokal irgendwie sehen und nicht so groß auf allgemein. Dazu kommt jetzt einfach die Schwierigkeit, dass in Berlin mit der neuen CDU-Regierung alle queeren Jugendzentren ihre Finanzierung verloren haben. Das ist halt auch noch was anderes, dass quasi queere Jugendliche jetzt nicht mehr die Möglichkeit haben, sich spezifisch auszutauschen und zu treffen und deswegen halt auch mehr auf so online Channel oder eben diese weiteren größeren, auf Erwachsene ausgelegten Organisationen zurückgreifen müssen.
P Was können jetzt Menschen, die nicht queer sind, aber doch auch möchten, dass ihr gut leben könnt in unserer Gesellschaft, für euch tun?
B Wenn jemand politisch aktiv ist, mit Politiker*innen sprechen, seinen Leuten schreiben, wichtig darauf hinweisen, dass das Selbstbestimmungsgesetz ein wichtiges Recht ist, an trans Organisationen spenden oder queere Organisationen. Aber ich würde gerade eben sagen, dass sich für trans Personen einsetzen, irgendwie gerade das Wichtigste ist, weil deren Rechte am meisten bedroht werden. Und sich da halt einfach solidarisch zeigen, dafür einstehen in Gesprächen. Wenn du hörst, dass jemand irgendwas Schlechtes sagt, dagegensprechen, sich aktiv machen, versuchen, das Narrativ zu verändern. Wir bekommen gerade so viele negative Narrative, die ja nicht stimmen, die ausgedacht sind und irgendwie dagegen steuern, wirklich hinschauen. Da ist keine Gefahr, diese Menschen, das sind 0,5% der Bevölkerung, die einfach in Ruhe ihr Leben leben möchten. Es ist niemand, der dich angreift, in deiner Persönlichkeit, ist einfach jemand, der*die sich selbst sein möchte und der*die Ruhe und Frieden haben möchte.
P Kannst du mal ein Beispiel nennen für solche negativen Narrative.
B Also so ein Narrativ zum Beispiel ist, dass trans Frauen Männer sind, die sich extra als Frau verkleiden und auf die Frauentour zur Damentoilette gehen, um Frauen zu bedrohen. Das ist ein Bullshit, man kann nicht einfach so zur Frau werden. Da steckt so viel dahinter, das passiert nicht einfach so.
Egal auf welche Toilette ich gehe, stellt es für mich als trans Person eine Gefahr dar. Cis Personen haben viel weniger Gefahr auf der Toilette. Ich bin die Person, die angegriffen werden kann.
P Gibt es da noch mehr Narrative?
B Also natürlich gibt es andere Narrative, zB dass trans Menschen pädophil sind. Ein Narrativ, was halt früher über homosexuelle Männer gesagt wurde. Es wird jetzt einfach nur recycelt, auf Transmenschen irgendwie übergestülpt. Und halt irgendwie eh dieses naive Gerede: Oh, wir können jetzt ganz schnell unser Geschlecht ändern. Das können wir nicht mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz, das es jetzt gibt, was eine super Möglichkeit ist, dass ich keine 2000€ zahlen muss, um die festgesetzten Gerichtskosten zu tragen, die mein Geschlecht ändern. Das Selbstbestimmungsgesetz heißt vielmehr, ich kann auf das Amt gehen und das erledigen mit einer dreimonatigen Wartefrist.
Und ausgerechnet das wird jetzt gesehen als eine Gefahr, wenn Menschen so ihr Geschlecht ändern können. Und es stimmt nicht. Es passiert nicht einfach so. Du musst 3 Monate warten und kein Mensch ändert einfach so sein Geschlecht. Für mich war die öffentliche Änderung etwas, was ich relativ spät gemacht habe. Erstmal probiere ich mich aus und schaue, wo ich bin. Meinen Namen und mein Geschlecht öffentlich zu ändern ist eher etwas, was ich hinterher gemacht habe, irgendwie, weil ich mir erst auch sicher sein wollte, dass die Entscheidung das Richtige ist. Und dieses Selbstbestimmungsgesetz ist einfach eher etwas, was den Menschen hilft, sich nicht mehr zu verschulden, noch mehr finanzielle Bürden zu haben, ist eh schon teuer genug. Meine gute Freundin hat 2000€ gezahlt, bevor das Selbstbestimmungsgesetz gültig war, um ihren Namen und Geschlecht zu ändern und das on Top zu allen wirklichen anderen Kosten, die auf dich zukommen. Und das ist halt einfach gefährlich und schwer, da dann solche Narrative zu bedienen.
P Das finde ich interessant. Du hast gerade gesagt, dass auf euch Dinge jetzt übertragen werden, die man früher auch auf schwule und lesbische Personen übertragen hat. Ist das jetzt so, dass schwul und lesbisch sein eigentlich eher so gesellschaftlich akzeptiert ist?
B Schon, aber nicht ganz. Schwule und Lesben haben immer noch viele Sachen, die schwierig sind und die sie erleben, was üble Diskriminierung und eine Schwierigkeit ist. Aber diese Narrative, die früher genommen wurden, um Hetze gegen Schwule zu machen, werden jetzt einfach auf trans Menschen übertragen und da halt auch spezifisch auf trans Frauen. Trans Männer erleben auch sehr viel Gewalt, auch sehr viel patriarchale Gewalt. Sie sind auch eine Gruppe, die in Gefahr lebt. Aber der Hass, der gegen trans Menschen geschürt wird, wird maßgeblich gegen trans Frauen geschürt. So wie in dieser Toilettendebatte da hat noch nie jemand über trans Männer geredet. Es geht immer nur um trans Frauen und deswegen kommt auch die Misogynie, der Frauenhass mit dazu. Es ist nicht nur Transfeindlichkeit. Es ist die spezifische Form der Misogymie, die sich auf Transmenschen oder auf Menschen, die wie trans wirken bezieht. Man sieht es in USA mit der neuen Regierung. Da wurde jetzt eine Reise Webseite, wo früher lgbtq Travel Restriction stand, lgb Travel Restrictions, sprich tq, wurde herausgenommen. Trans Menschen werden jetzt entfernt aus dem öffentlichen Bild von Queerness, Trans Menschen werden werden aktiv angegriffen. In den USA wird das wirklich krass gerade. Gender Affirming Care (Unterstützung für Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt) wird verboten. Es sind Sachen, die konkret angegriffen werden und diese Dinge werden bei Schwulen und Lesben nicht angegriffen. Die haben nur die beschissene gesellschaftliche Diskriminierung während Transmenschen, die noch beschissenere gesellschaftliche Diskriminierung bekommen und jetzt staatliche Angriffe auf ihre Existenz erleben.
P Was schätzt du denn auch rein von den Zahlen und der Statistik her wieviel Menschen in Deutschland sind denn so ungefähr wohl trans oder sind schwul oder lesbisch.
B Im Internet habe ich gefunden, dass man durchschnittlich bei einem Anteil von 0,5% der Bevölkerung davon ausgeht, dass sie Trans sind, dh in Deutschland leben etwa 415.000 transsexuelle Menschen.
Das Interessante ist ja, dass dann Leute sagen: früher gab es sowas nicht. Aber das kann man ja auch unterschiedlich interpretieren. Wenn das gesellschaftliche Klima offener ist, zeigen sich ja auch Menschen eher oder setzen sich damit auseinander. Während wenn das gesellschaftliche Klima klar restriktiv ist, dann ist es ja so, dass Menschen, die so was in sich spüren, das dann einfach auch unterdrücken und dann einfach versuchen, so wie die anderen leben und dann so ein Doppelleben führen.
Es ist viel gefährlicher wenn Menschen dies unterdrücken als wenn sie wirklich transitionieren. Denen geht es nicht gut im Leben. Die fügen irgendwann sich selbst oder anderen Menschen Schaden zu, ist meine Meinung. Trans-Sein hat schon immer existiert, nur wurden nie die Möglichkeiten gegeben. Du kannst es geschichtlich bis zur Antike zurückverfolgen, dass es eine faktische Lebensrealität von Menschen war, in verschiedensten Kulturen der Welt. Es ist faktisch einfach schon immer präsent und gerade eben gibt es halt die Möglichkeit, das mehr auszuleben und ich habe die Angst, dass das jetzt wieder zurückgehen wird mit der öffentlichen Sichtbarkeit. Ich glaube, trans Menschen werden jetzt wieder mehr untertauchen und wieder versuchen, als cis Person zu existieren, einfach weil der trans-Hass gerade so extrem am Wachsen ist. Dass die Menschen nicht mehr die Möglichkeit sehen, offen in ihrer Transidentität zu leben. Und das ist die Realität.
P Okay danke für das Gespräch.