„Kein Geheimnis, nur mein Leben“ – Volker Kujawskis Weg als schwuler Mann in Schwäbisch Gmünd

Es war Anfang des Jahres 2015, als ich an meinem Arbeitsplatz in einer alt eingesessenen Firma in Schwäbisch Gmünd einen Telefonanruf von einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Schwäbisch Gmünd erhielt: „Herr Kujawski, ein Gremium der Stadt hat entschieden, dass Sie im Sommer des Jahres den Courage-Preis der Stadt Schwäbisch Gmünd erhalten sollen. „Courage-Preis? Für was denn?“, habe ich entgegnet. „ … dafür, dass Sie immer offen mit Ihrer Sexualität umgegangen sind. Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie Männer lieben.“ Im Schnelldurchlauf habe ich dann meine einzelnen Lebensabschnitte in meinen Gedanken vorbeiziehen lassen …

Ich war schon mit sechs Jahren politisch interessiert und sass auf der Fensterbank des Gmünder Rathauses, als Willy Brandt die Stadt besuchte (Volker Kujawski)

So gesehen war ich also im CVJM oder auch in der Bergwachtjugend bestens aufgehoben. Ich habe hier aber zu keiner Zeit Jungs oder auch Männer angebaggert. Was hinter meinem Rücken geredet wurde, weiß ich nicht, das war mir aber auch damals schon herzlich egal.

Nach einem ersten, sexuellen Erlebnis mit einem etwas älteren Nachbarjungen, ich war inzwischen 12 oder 13 Jahre alt, habe ich für mich entschieden, wo es wohl langgehen soll. Auf die banale Frage, wie es wohl mit einer Freundin aussieht, antwortete ich stets, dass ich daran kein Interesse habe.

Seltsam war für mich, dass ich in meinem Berufsleben nie direkt gefragt wurde ob ich schwul bin. Dass hinter meinem Rücken geredet wurde, war mir klar. Wenn Arbeitskollegen von ihren Wochenenderlebnissen erzählten, berichtete ich von meinen Erlebnissen in der Stuttgarter Schwulenszene. Einen AHA-Effekt hatte ich, als ich in den 80er Jahren in den Betriebsrat der Firma gewählt wurde und später dann auch die Rolle des Betriebsratsvorsitzenden inne hatte.

Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre gab es in Mitteleuropa dann eine riesige Aufbruchstimmung unter den Schwulen in Deutschland. Überall gründeten sich homosexuelle Gruppen, so auch in Schwäbisch Gmünd. Über eine schwule Fachzeitschrift habe ich die Verbindung zur Homosexuellen Initiative Schwäbisch Gmünd aufgenommen. Hier lernte ich meine erste, feste Beziehung kennen.

Diese Liebe sollte mein Leben total durcheinander wirbeln. Im positiven Sinne wohlgemerkt. Wir wurden Mitglied in einer damals zum Teil den Schwulen nicht sehr wohl gesonnenen SPD. Jahre später haben wir dann auch diese, wohl auf dem Land eher reaktionäre, Partei verlassen.

Mit der späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Marga Elser aus Lorch (Volker Kujawski)
Schwulenmutti Laura und ich waren immer ein starkes Team (Volker Kujawski)

Die Beziehung hielt übrigens sieben Jahre. Vielleicht hatten wir uns auseinandergelebt. Danach folgten noch viele Männer in meinem Leben und ich bin heute noch dankbar, dass ich mir in dieser Zeit kein AIDS eingefangen habe. Da kam es gerade recht, dass sich in Gmünd die Aidshilfe Ostwürttemberg, später umbenannt in Aidshilfe Schwäbisch Gmünd, gründete.

Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre begann ich auch an den Wochenenden in der Stuttgarter Schwulenszene in Clubs zu arbeiten, die der bekannten Schwulenübermutter Laura Halding-Hoppenheit gehörten. Laura lernte ich schon Ende der 70er kennen, als sie selber noch Angestellte im legendären Kings Club war.

Mein Hobby seit meiner Kindheit: Zaubern (Volker Kujawski)

Wir waren vier Geschwister, wobei zwei davon neun und zehn Jahre älter waren als ich und von der ersten, verstorbenen Frau meines Vaters waren. Sie haben unser Heim auch schon sehr früh verlassen. Mein leiblicher Bruder, fünf Jahre vor mir auf die Welt gekommen, hat berufsbedingt auch schon sehr früh sein Elternhaus verlassen. Bis heute kann ich nicht sagen wie die Geschwister zu meinem Schwulsein gestanden sind. Rückblickend kann ich nur vermuten, dass es ihnen herzlich egal war. Zu meinen älteren Stiefgeschwistern habe ich keinen Kontakt mehr, mein Bruder ist 2011 verstorben.

Bei meinen Eltern, besonders bei meiner Mutter, kann ich nicht wirklich sagen, wie sie zu meinem Schwulsein stand. Es war einfach nie ein Thema. 1977 ist sie gestorben, ich war damals 21 Jahre alt. Bei meinem Vater sah das dann schon anders aus. „Bring doch nicht immer Männer mit nach Hause,“ musste ich mir öfter anhören. Dagegen liess er sich ohne zu murren von einem schwulen Freund von mir regelmässig die Haare machen. Oder kaufte Kosmetikartikel bei einem schwulen Freund von mir ein. Jahrgang 1920, dachte ich damals nur.

Diese Menschen sind ja zum Teil zum Nationalsozialismus erzogen worden. Leider blieb mein Vater bis zu seinem Tod 1990 diesem dunklen, deutschen Kapitel wohlgesonnen. Dagegen sagte einmal seine Mutter, also meine Oma, an ihrem 96zigsten Geburtstag zu mir: „ Dein Cousin, der Lothar, ist auch so wie du. Der kann mit den Mädels nichts anfangen. Das ist doch in Ordnung!“ Meine Oma war Jahrgang 1894!

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